Sweet Home Albania
Von Gastfreundschaft und Gegensätzen
In diesem Artikel geht es um die unglaubliche Gastfreundschaft
und die riesigen Gegensätze, die wir in Albanien erleben. Wir werden unerwartet eingeladen, anerkennend angehupt und von einem BMW-Fahrer ausgelacht. Warum wir nicht wild campen, obwohl es erlaubt ist und wie eine unserer größten Ängste wahr wird und wir von einem wilden Hund angegriffen werden, erfahrt ihr in diesem Artikel.
Viel Spaß beim Lesen!
Inhaltsverzeichnis
- Ein nasser Start ins Land der Gegensätze
- Das Shkodra Resort – ein Camper Paradies
- Spottpreise und ein stolzer Albaner im BMW
- Eine unerwartete Einladung
- Ein besseres Leben
- Ein Abend mit Nanna Franga und Eglis‘ Familie
- Auf nach Tirana
- Eine Stadt für (fast) Alles
- Ein beschwerlicher Vormittag
- Nur bis nach Elbasan
- Kein Platz für eine Pinkelpause
- Der Hundeangriff
- Espresso und Süßigkeiten
- Mit Adrenaliiin über den Grenzpass
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Ein nasser Start ins Land der Gegensätze
Im strömenden Regen kommen wir an der albanischen Grenze an. Wir hatten uns gegen die volle Regenmontur entschieden und nun ist es zu spät: Durch den Kragen unserer Regenjacken läuft das Wasser an unseren T-shirts herunter, unsere Füße quietschen beim Treten in den triefenden Schuhen. Als wir auf die Grenze zu radeln bzw. paddeln, ist die Sicht auf etwa 50 Meter beschränkt. Vom Straßenrand aus winken uns Leute zu sich heran, wir sollen uns doch unterzustellen. Aber das hat jetzt auch keinen Sinn mehr. Die Grenze selbst ist überdacht und die Kontrolle verläuft sehr unkompliziert. Mit zwei Rädern erweckt man im strömenden Regen doch oft das Mitleid der Beamten.
Und schon sind wir sind in Albanien! Unser traditionelles Bild vor dem Landesschild muss leider ausfallen, denn wir sehen nur eine tropfnass herabhängende albanische Flagge in einiger Entfernung. Als der Regen wenige Minuten später in Nieseln umschlägt und letztendlich wieder der Sonne weicht machen wir uns auf den Weg ins neue Land.
So verrückt, wie das Wetter in Albanien begonnen hat, geht es auch mit der Umgebung weiter: Wir radeln vorbei an schicken Häusern mit großen Gärten und Feldern. Dabei fällt uns auf, dass jedes einzelne Grundstück jenseits der Straße eingezäunt ist. Somit wird es zur Herausforderung, eine Stelle für eine Pinkelpause zu finden. Wir scheinen die Menschen genauso zu faszinieren, wie wir selbst fasziniert sind: Neben endlosem Gehupe winken und rufen uns die Leute im Vorbeifahren zu. Gleichzeitig sehen wir völlig normal am Straßenverkehr teilnehmende Pferdekutschen!
Kurz vor Shkoder fahren wir durch ein Viertel, das verdreckter und ärmlicher kaum sein könnte. Halbverfallene, notdürftig zusammengezimmerte Häuser und Baracken, der Abfall türmt sich am Straßenrand, kleine Kinder spielen auf schmutzigen Decken in hölzernen Wägen. Wir wussten, dass Albanien eines der ärmsten Länder Europas ist, aber dieses Bild hatten wir nach den ersten Eindrücken an der Grenze nicht erwartet. Später finden wir heraus, dass es sich bei dem Viertel um eine Siedlung der Roma handelt, die leider auch in Albanien ausgegrenzt und diskriminiert werden.
Das Shkodra Resort - ein Camper Paradies
In der Kleinstadt Shkoder am gleichnamigen See, der zwischen Albanien und Montenegro liegt, finden sich wieder krasse Gegensätze an einem Ort: Zerfallene Häuser stehen Tür an Tür mit modernen Bars und Restaurants, darunter sogar eine Bar mit dem Namen Casa de Papel nach der gleichnamigen Netflixserie (Haus des Geldes). Zudem prägen unzählige (freundliche) Straßenhunde das Stadtbild.
Wir verlassen Shkoder in Richtung Nordosten und fahren auf einer Landstraße entlang zum Shkodra Resort, begleitet vom Hupkonzert der an uns vorbeifahrenden Autos. Im Shkodra Resort tauchen wir wiederum in eine komplett andere Welt ein: es handelt sich um einen (abermals abgezäunten), sehr modernen Campingplatz mit großen Stellplätzen und sauberen Duschen, direkt am See. Am angelegten Strand gibt es Hängematten und Liegestühle – wir sind im Paradies, und das für 15€ die Nacht. Das dazugehörige Strandrestaurant ist günstig und absolut lecker, sodass wir unseren Campingkocher* Kocher sein lassen und trotz Restaurantbesuch unter unserem Tagesbudget bleiben.
Vor allem Senioren in Wohnmobilen aus Deutschland und den Niederlanden bevölkern den voll belegten Platz, neben uns gibt es nur noch einen weiteren Zeltreisenden. Anmerkung der Redaktion: Beinahe hätte die Autokorrektur aus Zeltreisenden Zeitreisenden gemacht. Nein Google Docs, wir schreiben hier weder Esoterik-Berichte, noch Science Fiction.
Als wir nach dem Abendessen zu unserem Zelt zurückkehren, erschreckt sich Joel beim Blick ins Zelt. „Jana, wir haben Besuch!“ Ich blicke besorgt ins Zelt. Ein Insekt? Oder gar eine Schlange?! Aber nein – tatsächlich hat es sich ein Kätzchen auf der Innenlage unseres Zeltes* bequem gemacht!
Spottpreise und ein stolzer Albaner im BMW
Weiter Richtung Tirana finden wir in einem kleinen Dorf einen Platz mit einigen halb verfallenen bunten Bänken für unsere Mittagspause. Zwei Teenager, nicht älter als 12 oder 13, kaufen im kleinen Tante Emma Laden nebenan Zigaretten. Auch wir haben Lust auf einen Nachtisch und kaufen uns ein Stieleis. Die Verkäuferin schreibt uns den Preis auf einen Zettel. 40 Lëke, umgerechnet 30 Cent. Für 2 Eis. Wir gucken uns ungläubig an.
In der nächsten Stadt machen wir halt, um einige Dinge für das Abendessen zu besorgen. Ein Auto hält neben uns und der Fahrer, der selbst längere Zeit in Deutschland gelebt hatte, ruft: „Was, aus Deutschland kommt ihr?? Zwei Deutsche auf dem Fahrrad und ich, der Albaner im BMW? Ha, irgendwas habt ihr falsch gemacht!!”
Denkt er. Wir finden, wir haben alles richtig gemacht 😉
Es wird langsam Zeit, einen Schlafplatz zu suchen. In Albanien ist das Wildcampen offiziell erlaubt, ironischerweise haben wir allerdings bis jetzt keinen einzigen Ort gesichtet, der dafür geeignet wäre. Auf Google hatten wir einen Ort mit der Bezeichnung Free Camping gesehen, sodass wir uns hoffnungsvoll auf den Weg dorthin begeben. Leider haben wir kein Glück – wiederum nur abgezäunte Bauernhöfe und Häuser mit hohen Hecken. Wir müssen also umkehren. Auf einem Schotterpfad mit Feldern zu beiden Seiten sind einige Menschen gerade dabei, ihre Kühe an einem Strick wieder zurück nach Hause zu bringen. Wir fühlen uns in der Zeit zurückversetzt.
Schließlich sehen wir eine ältere Frau auf einem Feld arbeiten. Wir sprechen sie an und fragen, ob wir unser Zelt* am Rande ihres Feldes aufschlagen dürfen.
Eine unerwartete Einladung
Wir haben Glück: Die Frau spricht zwar kein Englisch, dafür aber der Nachbarsjunge, Eglis. Ja, kein Problem, übersetzt er, wir könnten das Zelt aufstellen, wo wir wollen! Die Dame fängt allerdings schon wieder an, auf Albanisch auf den Jungen einzureden und aus der Nacht auf dem Feld wird eine Einladung in ihr, Nanna Frangas, Haus, da ihre Kinder bereits ausgezogen seien und sie ein freies Zimmer habe. Zögerlich stimmen wir zu.
Franga nimmt uns daraufhin mit zu ihrem Haus auf der anderen Straßenseite, aber statt uns ins Zimmer ihrer Tochter zu führen, bezieht die ältere Dame das Bett in ihrem eigenen Zimmer frisch für uns. Wir sind verblüfft und wissen nicht so recht, wie wir auf diese überschwängliche Gastfreundschaft reagieren sollen. Mit der Hilfe von Eglis erklärt Franga, sie müsse noch weiter auf dem Feld arbeiten, aber wir könnten ruhig fernsehen und später werde sie uns Abendessen kochen. “Kommt nicht in Frage”, erwidern wir, “wir werden auf jeden Fall auf dem Feld helfen und sie braucht uns nichts kochen, denn wir haben Bohnen und Gemüse für das Abendessen.”
Nanna Franga schneidet/jätet gerade mit einem Spaten und einer Hacke das Gras unter ihren 10 Olivenbäumen, um anschließend die Früchte besser einsammeln zu können. Es stellt sich heraus, dass das Jäten echte Knochenarbeit ist und Franga wäre wohl ohne unsere Hilfe schneller gewesen.
Ein besseres Leben
Währenddessen unterhalten wir uns mit Eglis und seiner Mutter, die etwas schüchtern nun auch dazukommt. Eglis fungiert dabei als Übersetzer, der erst Elfjährige spricht wirklich fantastisch Englisch.
Wir erfahren, dass Eglis Vater in Italien lebt und die Familie vorhat, ihm zu folgen. Obwohl die Mutter Lehrerin ist und die Familie ein kleines Grundstück mit einem Häuschen besitzt, sehen sie in Albanien keine Zukunft für sich. Und damit sind sie nicht alleine: Viele Albaner arbeiten im Ausland und schicken Geld in die Heimat, wohl einer der Gründe, weshalb selbst viele Produkte im Supermarkt für die hier arbeitende Bevölkerung nicht erschwinglich sind. Mit einem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von nur 32 % des europäischen Durchschnittes und einem monatlichen Mindestlohn von 264€ (zum Vergleich: 1702 € in Deutschland) zählt Albanien zu den ärmsten Ländern Europas.
Im Verlauf der weiteren Reise treffen wir Dirlon, der uns in einer Bar zu einem Kaffee einlädt. Er arbeitet als selbstständiger Bauunternehmer in London und ist aktuell auf Heimatbesuch. Ob er eine Zukunft in Albanien für sich sehe? Er lacht auf. Bei den krassen Lohnunterschieden innerhalb Europas zieht es (logischerweise) viele Albaner nach England, Italien oder Griechenland.
Auch Eglis erzählt mit leuchtenden Augen davon, dass bald ein besseres Leben für seine ganze Familie in Italien beginnen würde. Das Streben nach einem „better life“ wird hier schon den Kindern eingebläut.
Während wir schwitzend unter Frangas Olivenbäumen ackern, werden wir von Eglis Mutter ausgefragt, wo wir schon überall waren, ob wir schon mal Angst gehabt hätten (ihr selbst machen die „schwarzen Männer in Italien“ Angst) und welche Speisen wir gerne mögen? “Mögt ihr Kuchen?“, fragt sie uns. “Klar”, sagen wir, “wer mag denn bitte keinen Kuchen?“ Da läuft sie auch schon in Richtung ihres Hauses davon. Fragend schauen wir Eglis an, der zuckt nur mit den Schultern: “Naja, ihr habt gesagt, ihr mögt Kuchen! Sie backt jetzt einen Kuchen!”
Ein Abend mit Nanna Franga und Eglis' Familie
Eine halbe Stunde später sitzen wir mit Nanna Franga bei Eglis Familie auf dem Sofa und werden beharrlich gefragt, was wir denn nun zum Abendessen möchten. Nach mehrmaligem Ablehnen unsererseits und mehrmaligem Insistieren der albanischen Familie verplappert sich Joel schließlich und schwärmt von Bureks, die wir oft zu Mittag essen. Ein Stichwort, auf das die Familie nur gewartet hat: Eglis wird zur Großmutter geschickt, um Zutaten zu holen und Joel begleitet ihn. Zum Glück sind die beiden nicht lange weg, denn ohne Übersetzer ist es still im Raum und wir Lächeln uns freundlich an, während wir mit Gesten zu kommunizieren versuchen.
Albanisch ist angeblich eine der schwersten Sprachen der Welt und ist mit keiner anderen europäischen Sprache verwandt. Alleine danke (faleminderit) und hallo (përshëndetje) zu lernen, war eine Herausforderung gewesen. Eglis Mutter bereitet uns ein fantastisches Abendessen aus Käseburek, Gurke aus dem Garten und selbstgemachten Pommes zu. Danach gibt es Feigenkuchen, der noch warm ist. Ein köstliches Mahl! Wir sind pappsatt und sehr müde. Eglis Großmutter schenkt uns zum Abschied noch Haselnüsse und getrocknete Feigen für unterwegs.
Wir spielen Flaggen raten mit Eglis, dann verabschieden wir uns und gehen mit Nanna Franga zum Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Franga hatte sogar die Dusche für uns vorbereitet. Am nächsten Morgen kosten wir ihre albanischen Pfannkuchen mit selbstgemachtem Ziegenkäse, dann bepacken wir die Räder zur Weiterfahrt. Franga putzt noch schnell unsere Schuhe und wir bedanken und verabschieden uns überschwänglich. Mit Google Translate wird noch festgehalten, dass Franga unbedingt zu unserer Hochzeit eingeladen werden möchte.
Auf nach Tirana
Bald ändert sich das ländliche Straßenbild und rechts und links der zweispurigen Hauptstraße reihen sich Dutzende Cafés und Restaurants. Frei nach Murphys Gesetz entscheiden wir uns einen Tik zu spät zum Mittagessen: Statt Restaurants folgt nun ein Möbelhaus (mobileri) auf das nächste, insgesamt bestimmt hundert verschiedene Läden!
Erst etwa eine halbe Stunde später finden wir das kleine Restaurant Delfin, welches „überraschenderweise“ hauptsächlich Fisch serviert. Wir entscheiden uns stattdessen für die Suppe des Tages, Poc, eine Art albanisches Goulasch mit Hühnchen aus einer gusseisernen Schale, die noch blubbernd serviert wird. Ein wahrer Gaumenschmaus!!
Kurz vor Tirana führt uns die EV 8 dann über eine morsche hölzerne Hängebrücke, nicht breiter als einen Meter. Wir steigen ab und schieben die Räder vorsichtig eins nach dem anderen über die Brücke. Sicher auf der anderen Seite angekommen, bemerken wir einen älteren Mann, der vor einem kleinen Haus auf einem Stuhl sitzt und uns amüsiert beobachtet. Wahrscheinlich kommen einige Bikepacker auf dem Weg nach Tirana hier entlang. Der ältere Herr scheint nur darauf zu warten, dass eines Tages mal einer in den Fluss fällt.
Eine Stadt für (fast) Alles
Tirana entpuppt sich als verrückter Schmelztiegel aus verschiedenen Kulturen. Vor allem Kaffee-Liebhaber (wie wir) und Foodies (auch wir…) kommen hier ausgesprochen günstig voll auf ihre Kosten für den Gaumen und die Augen. Auf den Straßen herrscht ein Chaos aus Menschen, Autos, Mopeds und dem ein oder anderen Pferdewagen, mit entsprechender Geräuschkulisse.
Am Straßenrand reihen sich völlig baufällige Häuser an Luxusshops, die trendige Klamotten oder die neuesten Mobiltelefone verkaufen. Nur ein Bruchteil der Albaner wird sich diese Artikel leisten können. Dazwischen findet man kleine Läden, die von Mopedteilen bis zu Fernsehern alles verkaufen.
In Tirana, so könnte man meinen, kann man alles finden!
Ein beschwerlicher Vormittag
Es regnet schon morgens in Strömen und wir schwitzen in unserer Regenmontur. In Albanien kommt es regelmäßig zu Überschwemmungen, wir vermuten, dass es mit dem oft verstopften oder gar fehlenden Kanalisationssystem zusammenhängt. Am Stadtrand von Tirana reihen sich Luxusvillen mit riesigen Zäunen aneinander. In jeder Senke der Straße entstehen tiefe Pfützen, die selbst vorbeifahrende Autos nur mit Mühe durchqueren können. Jetzt macht es auch Sinn, dass hier nur 4×4 Geländewagen rumfahren…
Nach einem kurzen steilen Anstieg einen Schotterweg hinauf kommen wir abrupt zum Stehen. Vor uns liegt eine Baustelle und eine Grube in der Größe eines Schwimmbeckens trennt uns von der anderen Straßenseite. Ein sehr wichtig aussehender Mann gestikuliert wild mit den Armen und bedeutet uns, umzudrehen. Joel versucht, ihn anhand der Karte auf seinem Handy nach einem alternativen Weg zu fragen. Leider reagiert der Mann sehr unkooperativ und winkt ab: No, no, no! Nach mehrmaligen Annäherungsversuchen geben wir auf und drehen um, letztendlich finden wir einen Umweg um die Baustelle herum, und natürlich müssen wir dafür über einen Hügel…
Es ist unangenehm frisch und Nebel liegt in der Luft, als wir nach einem geeigneten Platz für eine Mittagspause Ausschau halten. Am Straßenrand zu unserer Rechten befindet sich ein Platz mit Baustoffen, einigen Baggern und einem kleinen Verschlag mit Glasfenstern. Er ist nicht verschlossen, also stellen wir uns unter.
Nur bis nach Elbasan
Wir beobachten gespannt zwei junge Männer, die einen der geparkten LKWs reparieren. Zufälligerweise hält kurz darauf auch noch ein anderer Bikepacker neben uns an der Baustelle. Für die Männer muss es wie ein Bikepacker-Treffen wirken. Jetzt sind sie es, die uns fremden Gestalten mit den seltsam bepackten Rädern gespannt beäugen.
Der Bikepacker (mal wieder keine Namen ausgetauscht…) kommt aus Deutschland und ist gerade auf dem Weg in den Iran! Eigentlich ist er dort bereits an der Uni in Teheran eingeschrieben und sollte auch bereits studieren, habe aber erst nach Monaten sein Visum erhalten, sodass er jetzt meint: ein paar Wochen habe ich eh schon verpasst, ein paar mehr oder weniger sind jetzt auch egal“, und jetzt eben mit dem Fahrrad dorthin fährt. Heute möchte er aber „nur“ bis nach Elbasan – ja cool, wir auch. „Puh“, sage ich, „das wird noch ein harter Tag heute, noch so um die 800 Höhenmeter!“ „Nee, höchstens 600!“, winkt er ab, schwingt sich wieder auf sein Rad und weg ist er.
Das war wenige Wochen vor dem Tod Jina Mahsa Aminis. Ich frage mich häufig, ob der junge Mann es tatsächlich bis in den Iran geschafft hat und ob er letztendlich sein Studium antreten konnte, oder ob er gar der Protestbewegung beigetreten ist?
Kein Platz für eine Pinkelpause
Auch wir machen uns kurz darauf wieder auf den Weg und es geht steil bergauf. Pah, von wegen nur 600 Höhenmeter!! Teilweise müssen wir die Räder die asphaltierte Straße hochschieben, weil es so steil ist! Und obwohl wir von Wald und Felsen umgeben sind, reiht sich am Straßenrand ein privates Grundstück an das nächste.
Ich müsste wirklich dringend mal pinkeln, aber auf ca 15 km Strecke findet sich tatsächlich kein geeigneter Busch. Schließlich bin ich so verzweifelt, dass wir an einem kleinen Café am Straßenrand anhalten – bis wir sehen, dass es hier keine Toilette gibt. Also weiter! Ich finde dann letztendlich doch noch einen Busch, aber es dauert weitere 25 Minuten.
Der Hundeangriff
Schließlich lassen wir die Bergdörfer doch noch hinter uns und fahren auf einer sich windenden Gebirgsstraße durch einen Wald. Zu unserer Linken befindet sich ein großes umzäuntes Grundstück mit zwei riesigen und aggressiv bellenden Hunden, die wie wild am Zaun hoch und runterspringen (zum Glück ist das Grundstück eingezäunt!) Erleichterung, als wir um die Kurve fahren und so das Grundstück hinter uns lassen. Aber dieses Gefühl hält nur kurz an.
Plötzlich sehe ich aus dem Augenwinkel am Straßenrand einen kleinen schwarzen boxer-ähnlichen Hund stehen, einen kurzen Moment später springt plötzlich ein größerer sandfarbener Hund aus dem Gebüsch neben mir und fletscht die Zähne. Ich schreie ihn erschrocken an und stoppe mein Rad (das stoppt den Jagdtrieb), auch Joel hat hinter mir bereits angehalten. Der größere Hund schnappt nach meiner Fahrradtasche, dann rennen beide wieder ins Gebüsch.
In Panik fahren wir (bzw. ich, Joel wird abstreiten, Panik gehabt zu haben) weiter und Joel meint nur: Keine Sorge wegen deiner Tasche, das können wir später flicken.
Wir kommen nicht besonders weit, denn jetzt schiebe ich wirklich eine Panikattacke. Ein kleines Café am Straßenrand kommt uns da gerade recht. Wir trinken einen vollkommen überteuerten Espresso während ich mich beruhige und begutachten den entstandenen Schaden: zwei große Löcher in der (einst wasserdichten) Tasche. Ich kann es nicht fassen, dass dieser blöde Hund uns tatsächlich angegriffen hat! Wir flicken die Löcher notdürftig mit Gaffa Tape.
Als ich meinem Unmut Luft mache, Joel hätte mir im übrigen überhaupt nicht geholfen bei dem Hundeangriff, hat er eine ganz andere Erinnerung an die Geschehnisse: laut Joel habe der größere Hund ihn verfolgt, sodass er angehalten habe. Währenddessen habe der kleine schwarze Hund mich verfolgt und in meine Tasche gebissen. Joel habe den größeren Hund darauf vertreiben können, woraufhin der Schwarze ebenfalls abgehauen sei. Tja, wie man aus jedem Crime Podcast weiß – traue niemals Augenzeugen!
Das Problem mit einer schlechten Erfahrung: Es braucht erst wieder 100 gute Erfahrungen, bevor man sich in einer ähnlichen Situation wieder sicher fühlt. Bis nach Elbasan begegnen wir noch einigen Straßenhunden, von denen keiner aggressiv ist, trotzdem rast mein Puls jedes Mal. Ansonsten ist die Abfahrt ins Tal begleitet von jeder Menge Kühen, Schafen und Eseln sowie einer atemberaubenden Aussicht.
Elbasan selbst keine Perle an Stadt, dafür ist Landi, der Besitzer eines kleinen Campingplatzes, auf dem wir als einzige Gäste übernachten, wahnsinnig herzlich und gastfreundlich, genau das was wir brauchen. Seine Frau kocht und ein tolles Abendessen aus Salat mit Feta, Würstchen und selbstgemachten Pommes. Wir zahlen für Kost und Logis nur 20 €. Am Abend raste ich noch einmal kurz aus, als ich bemerke, dass der Biss des Hundes auch unsere Isomatte* durchlöchert hat. Zum Glück hat der Hersteller Flickzeug mitgeliefert.
Espresso und Süßigkeiten
Am nächsten Tag wollen wir an die Grenze nach Nordmazedonien fahren, doch leider gibt es in dieser Gegend keine Campingplätze und auch über booking.com wird uns kein buchbares Hotel angezeigt. Aufgrund unserer letzten Hundebegegnung möchten wir nicht wild zelten.
Wir machen uns also am Morgen los, ohne zu wissen, wo wir an diesem Abend schlafen werden. An einer ruhigen Straße mit leichter Steigung fahren wir einige Stunden an einem kleinen teilweise ausgetrockneten Fluss in einem breiten kieseligen Flussbett entlang. Am Nachmittag halten wir in einem kleinen Café und trinken einen Espresso für 50 Lëke (umgerechnet etwa 40 Cent!). Logisch, dass wir einen zweiten bestellen! Um circa 15:00 erreichen wir vollgepumpt mit Koffein Përrenjas, den letzten Ort vor dem Grenzpass nach Nordmazedonien. Përrenjas macht keinen wahnsinnig einladenden Eindruck auf uns, sodass wir uns entscheiden, weiter bis über die Grenze zu fahren.
Von unseren letzten Leke kauft Joel Süßigkeiten ein, während ich unsere Räder vor dem Laden bewache (genau, SO einen Eindruck macht Përrenjas auf uns – wobei ich als Deutsche natürlich auch immer eher übervorsichtig bin). Unser letztes Geld – umgerechnet ca. 10 Euro reicht – im Supermarkt für mehrere Tafeln Schokolade und unzählige Bonbons, von denen sich Joel gleich mehrere hintereinander reinschiebt – er ist mal wieder hangry. Wieso er sich keine Chips gekauft hat? Das fragt er sich selbst, nachdem er von den ganzen Süßigkeiten furchtbare Bauchschmerzen bekommt…
Mit Adrenaliiin über den Grenzpass
Ich bin hochmotiviert, denn auf der anderen Seite des Grenzpasses erwartet uns der Ohridsee. Doch zwischen uns und der Grenze liegen noch 400 Höhenmeter. Die Passstraße schlängelt sich in unzähligen Serpentinen den massiven Berg hinauf und wir schwitzen, während die vorbeifahrenden Autos und LKWs anerkennend hupen oder rufen.
Meine Oberschenkel zittern wie Wackelpudding, aber ich bin vollgepumpt mit Adrenalin und überhaupt nicht müde! Joel hingegen tut sich sichtlich schwer, wohl auch wegen der Überdosis aus Koffein und Süßigkeiten. Aber natürlich würde er niemals zugeben, dass er eine Pause braucht, denn normalerweise bin ich die Langsame von uns beiden.
Zwei Stunden später haben wir es tatsächlich geschafft: Um 17:00 sind wir auf 994 Höhenmetern am Qafë Thana Grenzübergang an dem gleichnamigen Pass angekommen. Ein netter Grenzbeamter schleust uns an den wartenden Autos vorbei, ein kurzer Blick in unsere Pässe und schon sind wir in Nordmazedonien!
Bye bye Sweet Home Albania!
Einen Blogartikel zu schreiben ist sehr zeitaufwendig und wir sind beim Posten auf gutes Internet angewiesen, sodass unsere Erlebnisse hier oft einige Wochen zurückliegen. Wo wir aktuell sind, könnt ihr auf dieser Karte bzw. über unseren Instagram-Account verfolgen!