Durch Österreich's Alpen
von traumhaften Landschaften und GRANDiosen Begegnungen
Österreich ist ein geniales Land zum Radfahren.
Das mag erstmal seltsam klingen – schließlich muss man die Alpen überqueren! Zu unserer Überraschung gibt es jedoch mehrere Routen durch Österreich, auf denen man kaum Höhenmeter überwinden muss, dafür aber durch Täler mit grünen Wäldern und glasklaren Flüssen und Seen umgeben von schneebedeckten Berggipfeln fährt. Neben den teureren Ferienwohnungen gibt es zahlreiche Campingplätze, auf denen man auch für wenig Geld meist tolle sanitäre Anlagen und einen wunderschönen Ausblick geboten bekommt.
Inhaltsverzeichnis
- Bye bye Polizei!
- Berge und Spanner
- Pfifferlingspasta und Reisegeschichten
- Prokrastinator 2.0
- Der erste Härtetest
- Campen wie bei Heidi auf dem Sofa
- Ein Huhn mit Stil
- Regen, Regen, immer nur Regen
- Joel macht eine Szene
- Bikepacker Community
- Bad Gastein und die Belle-Époque der Grand Hotels
- Die Sadisten von Komoot
- Joel macht eine Szene Part 2
- Lasst und über Gott sprechen
- Busy Road to Italy
Österreich ist jedoch längst kein Geheimtipp mehr für Radfahrer
– vor allem (ältere) E-Biker haben das Land für sich entdeckt – das kann zu Problemen und Unfällen führen, wenn die Kraft (oder das Gewicht) des eigenen Gefährts unterschätzt wird. Vor unseren Augen ist beispielsweise eine ältere Dame aus dem Stand auf den Kopf – unbehelmt – gestürzt. Deshalb liebe Bikepacker: Immer Helm tragen und auf die E-Bikes aufpassen!
Bye bye Polizei!
Gestärkt, erholt und mit genug Verpflegung für die nächsten drei Tage fahren wir von Oma aus weiter ins Nachbarland Österreich. Direkt hinter dem Ortskern macht die Hauptstraße einen Knicks und schon sehen wir das blaue Schild mit den gelben Sternen: Republik Österreich!
Wir schaffen es allerdings nicht ganz bis zum Schild – der Berg ist einfach zu steil, sodass wir in der Kurve kurz anhalten müssen. Hier unterhalten wir uns mit den beiden Polizisten, die die Straße in Richtung Ellmau bewachen müssen (G7 und so). Wir seien die ersten ohne E-Bike heute und mit soviel Gepäck! Als wir ihnen erzählen, dass wir weiter nach Österreich wollen (und nicht etwa zum Ferchensee, wo Boris Johnson sich während des Gipfels abkühlte) wünschen sie uns viel Erfolg (denn die Straße nach Österreich ist wesentlich steiler als die zum Ferchensee) und nach dem obligatorischen Bild vom Bundesschild geht es weiter den viel zu steilen Berg hinauf, ein erster Geschmack von Österreich! Und unser Navigationshandy zeigt an, dass es den ganzen Tag so weitergehen wird!
Aber dann wird es doch wieder flach. Zu unserem Glück hat Komoot die Steigung falsch berechnet, eine Eigenheit der App, die uns später oft noch in riesige Erleichterung oder in schiere Verzweiflung ausbrechen lassen wird. Wir sind im Leutaschtal, umgeben von massiven, beeindruckenden Bergen, um uns herum grüne Wiesen mit freilaufenden Kühen und kleine Dörfer im typisch österreichischen Stil. Es fühlt sich so an, als ob die Zeit stehen geblieben wäre. Das hat auch mit den österreichischen Kraftfahrzeugsverbotsschildern zu tun: Das abgebildete Automobil sieht aus wie aus einer anderen Epoche.
Berge und Spanner
Wir müssen abrupt anhalten. Aus unerfindlichen Gründen ist der Wanderweg vor uns, der uns ohne große Höhenmeter nach Telfs bringen würde, gesperrt. Also heißt es Hauptstraße und einige Kilometer mit 7-8% Steigung. Wir werden von einigen Rennradfahrern überholt. Wenigstens haben wir in unseren Pausen einen Wahnsinns Ausblick über das Tal!
Schließlich sind wir völlig verschwitzt auf 1310 m und fahren auf der anderen Seite hinab ins Inntal! Jetzt fühlt es sich wirklich so an, als ob wir in Österreich sind!
In Telfs angekommen ist erstmal Zeit für ein Eis und ein kaltes Getränk aus dem Supermarkt. Wir sind etwas nervös, denn den Abend werden wir mit Manfred und Ilse verbringen, die uns über die Plattform Warm Showers einen kostenlosen Schlafplatz zur Verfügung stellen.
Als wir ankommen, ist die Familie noch unterwegs, sodass wir uns entschließen, am nahe gelegenen Fluss Ufer des Inn zu baden. Hier treffen wir einen Passanten, der uns erklärt, dass es hier üblich sei, nackt zu baden, wir ziehen uns trotzdem unsere Badesachen an, da ich am anderen Flussufer in der Ferne einen alten Mann ausmachen kann, der uns beobachtet.
Den Inn saukalt zu nennen, wäre untertrieben. Wir halten es keine Minute aus, obwohl es heiß ist und wir verschwitzt sind. Der alte Mann scheint uns immer noch zu beobachten. Er ist mir etwas unheimlich. Joel guckt genauer hin: „Nein, das ist kein Mann! Das ist nur ein…merkwürdig geformter Stamm!” Ich glaube ihm kein Wort. Aber wofür hat man eine Kamera mit 400-fachem Zoom? Wir wetten also um irgendetwas und ich fotografiere den Mann unauffällig. Und tatsächlich: Es ist ein merkwürdig geformter Stamm. Wette verloren.
Pfifferlingspasta und Reisegeschichten
Manfred und Ilse sind unsere ersten Gastgeber über die Plattform Warm Showers. Wir sind schon darauf eingestellt, im Garten zu Campen, doch die beiden bieten uns ein eigenes Zimmer in ihrem Haus und Handtücher (kein Mikrofaser-Gedöns) an. Wir kochen die selbst gesammelten Pfifferlinge in Sahnesoße für alle und unterhalten uns lange mit Manfred.
Ilse und Manfred sind wahre Freigeister und haben die ganze Welt bereist. Besonders beeindruckend finden wir ihre Reise mit dem Kanu über die Donau bis zum schwarzen Meer vor einigen Jahren. Ilse erzählt uns, dass das Reisen schon süchtig macht und dass sie sich oft überlegt haben, irgendwo dauerhaft zu bleiben. Ob wir den Reisewurm jemals wieder loswerden? Wer weiß…
Jedenfalls ist es sehr inspirierend, die beiden kennenzulernen: Wir lernen, was Permakultur bedeutet und ich habe ein neues Lieblingswort: lässig. (Beispiel: es ist so lässig, nach der Arbeit in den Fluss zu springen).
Als es nachts anfängt, heftig zu gewittern, kuschele ich mich an Joel und bin froh, nicht im Zelt schlafen zu müssen.
Prokrastinator 2.0
Unsere Trinkflaschen füllen wir am nächsten Tag mit glasklarem Wasser aus dem örtlichen Brunnen auf, dann folgen wir weiter dem Inntalradweg nach – wer hätte es gedacht – Innsbruck. Der Radweg ist sehr angenehm zu fahren, allerdings liegt er großteils neben der Autobahn, sodass es ziemlich laut ist.
Von Innsbruck sind wir sehr positiv überrascht. Eine schöne, sehr saubere Studentenstadt mit einer malerischen Szenerie hinter bunten Reihenhäusern. Wir fahren am Inn entlang, bis wir in der Innenstadt einen jungen Mann an einer der zahlreichen Fahrradstationen stehen und sich mit seinem Rad abmühen sehen. Flickzeug (und know how!) haben wir ja jetzt, also halten wir und bieten unsere Hilfe an. Es stellt sich heraus, dass der Medizinstudent André aus Deutschland eigentlich gerade auf seine Jahresendprüfung lernen sollte, ihm dann jedoch einfiel, dass er seinen Fahrradreifen schon lange nicht mehr aufgepumpt hatte.
Das nenne ich mal Prokrastination! Allerdings passt die an der Fahrradstation bereitgestellte Pumpe leider nicht auf sein Ventil. Kein Problem, denn wie bereits in unserem Belgien-Artikel beschrieben, haben wir ja eine großartige Pumpe, sodass André schon kurze Zeit später wieder nach Hause fahren und weiterlernen kann (ob sein „danke!“ wohl etwas missmutig klang…?).
Der erste Härtetest
Abends kommen wir am „Campingplatz Inntal“ an und sind begeistert: es gibt einen Pool und die Sanitäreinrichtungen sind aus einer anderen Welt: hoch-modern, glänzend sauber, es gibt Regenwasserduschen und jedes Duschabteil ist ein eigenes kleines Badezimmer mit Waschbecken und einem großen Spiegel. Schade, dass wir nur eine Nacht bleiben! Wir bauen unser Zelt auf und checken den Wetterbericht: es soll gewittern. Mist, wir müssen doch noch etwas zum Abendessen kochen (Nudeln). Zum Glück hatten wir von Joel’s Vater ein Poncho/Tarp geschenkt bekommen, sodass ich mich daran mache, das Tarp zwischen unserem Zelt und einem Stromkasten aufzuspannen. Joel überprüft das Konstrukt: super! Jetzt haben wir ca 2 qm Fläche vor unserem Zelt, die nicht nass wird, sodass wir in Ruhe anfangen können, zu kochen.
15 Minuten später: der Regen peitscht auf unser Zelt, so laut, dass wir uns fast anschreien müssen. Alle 30 Sekunden ein Blitz, der den tiefgrau-verhangenen Himmel erhellt, dazu quasi ununterbrochenes Donnergrollen. Wir kauern unter dem Tarp auf unseren Campingstühlen, während wir mit vier Händen versuchen, die Vorrichtung festzuhalten, die vom Wind hin- und hergeworfen wird und in unregelmäßigen Abständen einen Wasserschwall auf Joel oder mich herab gießt.
Nachteil von einem Tarp/Poncho: es hat eine Kaputze in der Mitte. Sozusagen direkt über unserem Campingkocher. Und diese füllt sich etwa jede Minute vollständig mit Wasser, welches sich, wenn nicht rechtzeitig nach oben ausgeleert, vollständig über uns ergießt. Ein weiterer Blitz erhellt die Dunkelheit – krachender Donner direkt danach. Wir haben beide Hunger. Es ist kalt und nass. Ich habe Angst, dass es zu einer Benzinexplosion kommt, wenn Wasser auf den Kocher trifft, oder gar ein Blitz. „Wir müssen den Kocher ausmachen!“, schreie ich Joel an. „Nein! Schreit er zurück, „die Nudeln sind noch nicht fertig!“ „…aber das Gewitter! Wir müssen warten bis es vorbei ist!“ Nach einer heftigen Diskussion schalten wir den Kocher mit den halbgaren Nudeln tatsächlich aus und warten. Aber es wird nicht wirklich besser. Nach etwa einer Stunde ist zumindest das Gewitter weitergezogen, während der Starkregen persistiert – wir kochen die Nudeln zu Ende und essen halb durchnässt im Zelt – es ist 22:00.
Campen wie bei Heidi auf dem Sofa
Als wir den Inntalradweg verlassen, wird es konditionsmäßig erstmal hart: wir fahren auf dem Wilden Kaiser Radweg über Söll, St Johann in Tirol und Fieberbrunn und müssen dabei einige Höhenmeter überwinden („das sind doch mindestens 13%!”, rufe ich Joel zu. „Ne”, Joel checkt seinen Boardcomputer, „sind nur 10,5!” „Das kann nicht sein!”, hechle ich. – So geht das eine ganze Weile).
Dafür ist es der schönste unserer Radwege in Österreich mit atemberaubenden Blicken auf die umliegenden Berge und Täler. Wir fühlen uns wie bei Heidi. (Anmerkung: Heidi spielt eigentlich in den Schweizer Alpen, aber wir wollen mal nicht so sein …)
In Söll halten wir abends an einem kleinen Supermarkt für ein Eis und ein kaltes Getränk (Römerquelle Emotion ist unser absolutes Lieblingsgetränk geworden). Auf dem Feld gegenüber ist gerade ein Bauer mit seinem Traktor unterwegs, kurzerhand springt Joel über die Böschung und fragt den Mann, ob wir wohl heute Abend auf seinem Feld campen dürften. Kurz darauf köcheln die Nudeln im Campingkocher vor sich hin, während wir vor unserem Zelt auf dem Feld des Bauern beobachten, wie die Sonne langsam hinter den Bergen verschwindet.
Ein Huhn mit Stil
Wir biegen schließlich auf den Tauernradweg nach Zell am See ab. Der Campingplatz, den wir uns hier ausgesucht hatten, ist rappelvoll – zu unserem Glück, denn wir bekommen einen kleinen Platz am Rande zwischen zwei abwesenden Dauercampern zugewiesen. Kein Kindergeschrei und Blick auf die Berge! Unser einziger direkter Nachbar: Ein sehr vornehmes Huhn mit einer Wahnsinns-Frisur (wir taufen es liebevoll Elton – es wollte die Adresse seines Friseurs leider nicht rausrücken, Flo…) Wir bleiben zwei Tage. Abends gewittert es wieder, aber wir haben dazugelernt und bleiben diesmal dank ausgeklügelter Poncho-Aufhängetechnik trocken! Da schmecken die Hackfleischbällchen in Tomatensauce gleich doppelt so gut!
Und dann – endlich – nach ein paar halsbrecherischen Abfahrten und Anstiegen (18% und mehr) treffen wir bei Lend auf den Alpe Adria Trail, von dem Andreas uns erzählt hatte (Andreas, wir haben es geschafft!)
Regen, Regen, immer nur Regen
Komoot hat den ganzen Tag – erst leider, dann zum Glück, Schwierigkeiten, die Steigungen richtig anzugeben. Um die Mittagszeit sind wir sehr glücklich, dass uns statt einer 15% Steigung über einige km doch nur ein dunkler (und sehr lauter) Tunnel erwartet. Das Wetter ist heute unbeständig, sodass wir unsere Mittagspause in einer überdachten Bushaltestelle einlegen – guter Plan, denn kurz darauf schüttet es aus allen Kübeln. Alleine in unserer Mittagspause sehen wir ca. 10 Radreisende in voller Regenmontur an uns vorbeifahren, während wir unsere Brotzeit genießen.
Im Laufe des Nachmittags klart das Gasteintal zunehmend auf und wir genießen den Blick auf die majestätischen Hügel. In Bad Hofgastein (die Namen sind verwirrend: Bad Gastein, Dorfgastein, Bad Hofgastein…) kommen wir beim Bertahof Camping an und ich bleibe bei den Rädern, während Joel uns eincheckt.
Joel macht eine Szene
Plötzlich höre ich ihn laut schreien: „HALLO, WIR WOLLEN EINCHECKEN!!!“ Verwundert spähe ich um die Ecke und sehe, wie Joel einer älteren Dame förmlich ins Gesicht schreit. Ich gehe hinterher. Die Dame händigt uns einen Zettel aus mit der Bitte, diesen auszufüllen. „AH JANA”, schreit Joel, „VIELLEICHT KANNST DU JA SCHON MAL DEN ZETTEL AUSFÜLLEN!!” „Ok, du brauchst nicht zu schreien”, sage ich verwundert. Auch die Empfangsdame sieht ihn irritiert an. Später erklärt Joel, er habe sehr laut an die Glastür geklopft und die Dame hätte ihn nur angesehen und nicht reagiert, er dachte daher, sie sei schwerhörig (ist sie nicht) – sie dachte wiederum wahrscheinlich, Joel sei etwas … speziell.
Bikepacker Community
Auf der Zeltwiese sind wir zunächst alleine, im Verlauf des Abends stoßen noch zwei weitere Fahrradreisende dazu, Birk auf dem Weg nach Grado in Italien und der andere (ich nenne ihn der Einfachheit halber mal Theo) in die umgekehrte Richtung nach Salzburg.
Radreise-Krankheit: Man unterhält sich den ganzen Abend mit jemandem, aber niemand hat daran gedacht, sich vorzustellen und so weiß man am Ende oft den Namen der anderen Person nicht.
Im Vergleich zu uns im Speziellen und auch im Allgemeinen könnte man Birk und Theo wohl als Radprofis bezeichnen. Wir müssen ganz schön schlucken, als sie uns erzählen, wie viele Kilometer sie täglich fahren; und auch unsere Räder radeln mit Sicherheit nicht in derselben Liga. Von Birk erhalten wir einige wertvolle Tipps was Bremsen angeht (danke, von Verglasung hab ich vorher noch nie gehört!) und Theo konnten wir mit Halstabletten und einem Tee gegen seine Angina helfen (wir haben ja alles dabei) – hoffentlich war es kein Covid.
Bad Gastein und die Belle-Époque der Grand Hotels
Der nächste Tag wird bislang unser Härtester werden: Erstens mit 90km deutlich länger als unsere „Normalo“-Tage durch Österreich, zweitens mit etwa tausend Höhenmetern deutlich anspruchsvoller als jeder andere Tag bisher.
Daher können wir auch nicht warten, bis Theo vom Duschen zurückkommt, um uns zu verabschieden. Birk wird uns später eh einholen. Nach den ersten paar easy Kilometern geht es steil bergauf nach Bad Gastein, wir müssen zwar etwa alle 20 Meter anhalten und Luft schnappen, aber geschoben wird nicht! Gerade so. Kurz vor dem Ortskern holt Birk uns ein und richtet uns Grüße „vom anderen Kollegen“ aus (Jep, auch Birk kennt den Name des Kollegen nicht und wir erfahren den von Birk auch erst später). Wir knipsen ein paar Bilder und merken dann, dass wir uns beeilen müssen: Auf dem Plan steht heute auch eine kurze Bahnfahrt durch die hohen Tauern, genauer gesagt von Bad Gastein nach Mallnitz, und der Zug fährt nur einmal pro Stunde. Wir müssen also ranklotzen.
In Bad Gastein fühlen wir uns wie in der Belle Époque. Ein Grand Hotel mit Säulen und großen Fenstern im Jugendstil reiht sich an das nächste, mitten in der Stadt tost ein Wasserfall ins darunter liegende Tal. Die traurige Wahrheit ist leider, dass Bad Gastein vom Zahn der Zeit nicht verschont geblieben und seine Blüte längst überschritten hat. Die meisten der Luxushotels mussten Insolvenz anmelden und stehen bis heute leer. Die Leute fahren nun eben lieber zum Wintersport in andere Orte Österreich.
Mit einem Wehmuts- und Nostalgiegefühl geht es weiter – übrigens immer noch bergauf und es fiept schon in meinen Ohren vor Anstrengung – aber wir sind spät dran!
Zum Glück erwischen wir in ziemlich letzter Minute noch den Zug und treffen auch Birk wieder (spätestens jetzt bei der dritten Begegnung wird es Zeit, sich vorzustellen). Als wir in Mallnitz ankommen, möchte Birk sich uns gerne für eine Weile anschließen- kein Problem, aber wir sind eben langsam. Zu langsam – merkt Birk nach der dritten Kurve und wir nehmen Abschied.
Die Sadisten von Komoot
Zum Glück geht es jetzt ziemlich lange bergab und wir haben wie so oft einen genialen Ausblick.
Aber nichts hält für immer und nach nur 20 km (Erinnerung: von 90 km insgesamt) geht es wieder abwechselnd 50 Meter bergauf und -ab. Durch die Höhenmeter vom Morgen sind unsere Oberschenkel bereits ziemlich müde. Irgendwann merken wir, dass der Alpe-Adria Trail eigentlich konstant im Tal verläuft, Komoot uns aber sinnloserweise die Berge zu beiden Seiten des Tals hoch und runter schickt. Wieso? Ich vermute Sadismus desjenigen, der diese Route in das System der App eingespeist hat, aber wer weiß. Wir ignorieren Komoot also fortan und die Route wird erträglicher, aber irgendwann (so nach 60km) tut uns einfach nur noch der Po weh (ja, auch Joel mit seinem tollen brooks-Sattel!)!
Joel macht eine Szene Part 2
Wir rufen unsere Couch Surfing Hosts Varun und Eszter in Villach an und teilen ihnen mit, dass wir etwa 2-3 Stunden später als geplant ankommen werden. Das scheint kein Problem zu sein und wir erfahren, was die beiden gerne essen und kaufen die passenden Zutaten ein. Um 20:00 kommen wir völlig erschöpft in Villach an. Super, denken wir uns, schnell kochen, essen und dann ab ins Bett.
Varun und Eszter sind noch nicht zu Hause, sodass wir uns in ihren Garten setzen und erstmal flaschenweise Wasser aus dem Hahn trinken. Als die beiden dann schließlich nach Hause kommen, merken wir, dass sie nach einem völlig anderen Rhythmus leben als wir. Abendessen um 22:00, Schlafenszeit kurz nach Mitternacht, manchmal später. Wir trinken also erstmal ein Bier auf dem wunderschönen Balkon und unterhalten uns. Mir fällt es schwer, mich auf das Gespräch zu konzentrieren, denn ich habe wahnsinnige Kopfschmerzen. Als Joel dann schließlich weiß wie die Wand von der Toilette zurückkommt und fragt, ob er sich kurz hinlegen kann, merken wir, dass wir den Bogen vielleicht überspannt haben – Elektrolytverlust und Nahrungskarenz- hier sind auch wir an unsere Grenzen gekommen. Joel liegt auf dem Küchenboden und ich halte seine Beine in die Luft, während ich ihn dazu überrede, ein Snickers zu essen. Varun und Eszter müssen uns für komplett verrückt halten. Nach etwa 20 Minuten fühlen wir uns wieder in der Lage zu kochen und nach einem ordentlichen Abendessen fallen wir völlig erschöpft auf die Couch.
Einer der großen Pluspunkte unserer Reise ist, dass wir Menschen treffen, denen wir sonst nie begegnet wären. Die meisten unserer Freunde in Deutschland und England waren Kollegen, also im weitesten Sinne aus dem Gesundheits- bzw. Businesssektor. Irgendwann vergisst man, dass es noch so viel mehr da draußen gibt. So auch Varun, ein Mikrochip-Architekt aus Indien und Eszter, eine Grafikdesignerin aus Ungarn. Die beiden haben sich in Indien über Couchsurfing kennen gelernt, denn Eszter designt und malt unter anderem große Wandgrafiken zum Beispiel für Hostels und reiste vor Covid um die Welt.
Lasst und über Gott sprechen!
Von Villach aus geht es am nächsten Tag weiter über Italien nach Slowenien. Kurz vor der Grenze füllen wir bei Aldi nochmal unsere Vorräte auf. Eine ältere Dame beäugt unsere Räder neugierig, worauf Joel sie anspricht und ihr erzählt, was wir vorhaben. (Jeder, der Joel kennt, weiß, dass nur der kleinste Funke Neugier in den Augen eines Fremden dazu führen kann, dass er sich für 20 Minuten unsere gesamte Lebensgeschichte anhören muss – ob er das nun möchte oder nicht)
Die besagte Dame scheint jedoch aufrichtig interessiert, meint, wir machen das genau richtig, man solle sich nicht an materiellen Dingen festhalten. Sie händigt uns ein selbstgebasteltes Kärtchen aus. Da gäbe es so einen Online-Workshop nächste Woche, kostenlos natürlich, über Frieden. Wir scheinen genau die richtigen Leute dafür zu sein. Wir sollen doch einfach mal reinschauen. Das ist ja nett, denke ich mir und nehme das Kärtchen entgegen. „Das ist genau das, was Gott will”, fährt die Dame fort. „Dass wir Frieden verbreiten. Aber dafür müssen eben zunächst alle schlechten Menschen vernichtet werden.” Wir lächeln angestrengt, während meine Alarmglocken schrillen, verabschieden uns und ich sage zu Joel: „Die Tante war doch garantiert von den Zeugen Jehovas oder so?” – „Ja”, Joel zuckt unbeeindruckt mit den Schultern, „steht doch hier auf dem Kärtchen: www.jw.org“
Tja, da hat doch Joel tatsächlich eine Zeugin Jehovas angesprochen. Dass die Zeugen Jehovas an Türen klingeln und einen in ein Gespräch über Gott verwickeln wollen, hört man oft. Aber dass jemand aus Versehen die Zeugen anspricht … soviel Eigeninitiative erleben die bestimmt auch selten.
Busy Road to Italy
Auf der Strecke zwischen Villach und Tarvisio in Norditalien sind eine Menge Radfahrer unterwegs – auch eine Menge Speedies. Einer ist sogar so schnell, dass ich ihn beim Anfahren nicht sehe und er mir mit Vollkaracho mit seinem Ellenbogen in den Lenker fährt. Es blutet ordentlich, aber der Mann besteht darauf, weiter zu fahren. Nicht schön, aber auch solche Momente gibt es leider auf beliebten Radwegen. Seither gucke ich immer dreimal nach hinten, bevor ich losfahre.
Kurz vor Italien treffen wir Thomas, einen Familienvater aus Nürnberg, der auf dem Weg nach Udine in Italien ist und in seinem Urlaub diese Tour macht. Zusammen fahren wir bis nach Italien und Thomas bedankt sich, denn ohne uns hätte er heute nicht die Motivation gehabt, so weit zu fahren, meint er. Kurz vor Tarvisio verabschieden wir uns und biegen nach Slowenien ab.
Noch ein paar Eindrücke
Einen Blogartikel zu schreiben ist sehr zeitaufwendig und wir sind beim Posten auf gutes Internet angewiesen, sodass unsere Erlebnisse hier oft einige Wochen zurückliegen. Wo wir aktuell sind, könnt ihr auf dieser Karte bzw. über unseren Instagram-Account verfolgen!