Kirgistan
Bergpässe bis ans Limit
Triumph und Widrigkeiten in einem magischen Land
Inzwischen sind wir bereits seit 3 Wochen in Kirgisistan unterwegs, aber die nächste Etappe steht auf einem anderen Blatt! Vor uns liegen die höchsten Bergpässe und die abgelegensten Orte unserer Reise. Wir sind aufgeregt, wissen aber, dass wir an unsere Grenzen stoßen werden. Wir verlassen den Komfort unseres AirBnB und wagen uns in die 40-Grad-Hitze von Bischkek. Die letzte Etappe unseres Abenteuers in Zentralasien beginnt mit dem Kegeti-Pass auf 3780 Höhenmetern.
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Inhalte
- Der Kegeti Pass
- Eine tolle Aussicht beim Socken Anziehen
- Der erste Monster-Bergpass
- Janas Fahrrad macht schlapp
- Der Kara-Keche-Pass und ein Kohlebergwerk
- Eine Armee von Schafen mit einem jungen General
- Das Jurten-Camp am Song-Kul-See
- Ein weiterer Pass
- Das Wetter spielt verrückt
- Es gibt für alles ein erstes Mal
- Eine neue Fahrrad-Crew
- Unsere letzte Fahrt in Zentralasien
Der Kegeti-Pass
Der Tag beginnt positiv. Wir bekommen unsere Kreditkarte, die letzte Nacht vom Geldautomaten auf der anderen Strassenseite verschluckt worden ist, in der Bank zurück. Tolle Nachrichten. Ich bezweifle aber, dass wir sie bald benutzen können. Vor Naryn, der nächsten Stadt, müssen wir noch zwei Bergpässe und einen riesigen See überwinden.
Als wir den Anfang der Passstraße hochfahren, dauert es nicht lange, bis der Asphalt zu einem Schotterweg wird. Wir wissen, dass wir jetzt mindestens für 100 km keinen Asphalt mehr sehen werden. Die Landschaft Kirgistans hingegen hält, was sie verspricht. Schon nach einem Tag in den Bergen fahren wir durch ein ruhiges Tal mit schmalen grünen Weiden und kleinen Flüssen. Ein Wasserfall strömt an einer steilen Felswand hinunter. Mehrere Autos haben angehalten und Menschen picknicken. Wir schlagen unser Zelt* neben einem Bach auf und hören die ganze Nacht nichts, außer dem fließenden Wasser und dem Vogelgesang.
Den zweiten Tag beginnen wir mit einem Kaffee und genießen die Ruhe der Umgebung. Danach ist es Zeit, sich auf die Räder zu schwingen und den langen Anstieg auf 3100 Höhenmeter zu starten. Als die Sonne untergeht, ist es ziemlich befriedigend, die Schlafsäcke auszupacken. Die Temperatur könnte heute Nacht sogar so weit sinken, dass wir sie mal wieder brauchen. Es ist das erste Mal, dass wir auf einer Höhe von über 3000 m schlafen.
Eine tolle Aussicht beim Socken Anziehen
Ich habe inzwischen nicht mehr die Ausrede, dass ich ein Amateur bin: Ich hätte es wirklich besser wissen müssen, als mit Löchern in den Schuhsohlen durch die kirgisischen Berge zu fahren. Über den Pfad vor uns strömt ein Bach, den wir überqueren müssen. Das bringt mich natürlich in Schwierigkeiten, denn ich will keine nassen Füße bekommen. Werden meine Socken jetzt nass, trocknen sie bestimmt erst in 3 Tagen, auf der anderen Seite des Passes. Mit dem Ziel, Trittsteine über den Bach zu legen, werfe ich einen großen Stein vor mir ins Wasser. Platsch! Wasser spritzt hoch und ich bin voll mit Dreck. Idiot.
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Der erste Monster-Bergpass
Als wir uns dem Pass nähern, bricht ein Unwetter los. Es regnet in Strömen. Wie Kinder in ihren Zimmern fangen wir an, zu zählen, wenn wir einen Blitz sehen, um die Entfernung des Gewitters abzuschätzen. Anders als Kinder zu Hause sind wir den Naturgewalten ausgesetzt und machen uns ernsthaft Sorgen, als das Gewitter näher kommt.
Der Regen wird zu Hagel. Heute Morgen habe ich versucht, einem Bach auszuweichen, jetzt hat sich die ganze Straße in einen Fluss verwandelt. Das Wasser strömt die Serpentinen hinunter, die wir hinauffahren. Meine Füße sind durchnässt. Es ist sinnlos, etwas dagegen zu unternehmen. Ich muss warten, bis sich das Wetter bessert und dann meine Socken auswringen. Der größte Teil des Aufstiegs ist wahnsinnig steil. Wir halten ständig an, um nach Luft zu schnappen. Nebel umgibt uns, als wir den Pass erreichen. Wir können nicht weiter als ein paar Meter sehen und die Temperatur ist merklich gesunken. Aber wir schaffen es, 3780 m!
Ein paar hundert Metern weiter kommen wir aus den Wolken und haben wieder Sicht. Die Aussicht auf die dramatischen Felswände und Geröllfelder, die unter uns liegen, ist beeindruckend. Bis wir bemerken, dass wir uns einen Weg durch das Geröll nach unten bahnen müssen. Der alte Weg ist durch eine Lawine zerstört worden.
Wenn man es mit dem Fahrrad auf den Gipfel eines Berges geschafft hat, sollte die Abfahrt eigentlich Spaß machen und eine Art Belohnung sein. Nun, nicht in diesem Fall. Es ist ein Albtraum! Der einzige Pfad, den wir sehen können, liegt etwa einen Kilometer entfernt unter uns. Zu Fuß manövrieren wir die Räder die steilen Geröllfelder hinunter.
Wir erreichen den Pfad in einem Stück und fahren ein paar Stunden lang den Schotterweg hinunter. Unsere Hände schmerzen vom ständigen Bremsen, also halten wir am frühen Nachmittag an und bauen das Zelt auf. Auf 2800 m Höhe genießen wir den Erfolg, unseren ersten Monsterpass überwunden zu haben.
Janas Fahrrad macht schlapp
Als wir am Morgen losfahren und es bergab geht, bemerkt Jana, dass ihre Bremsen ein komisches Geräusch machen. Wir halten an, um nachzusehen. Mist. Die Bremsbeläge haben sich gelöst und einer ist herausgefallen. Es liegt vermutlich an den starken Vibrationen der gestrigen Schotterpiste. Wir laufen ein Stück zurück, um den Boden nach dem Belag und dem Sicherungsclip abzusuchen. Weniger als 100 m entfernt finden wir tatsächlich den hellblauen Bremsbelag (danke Decathlon). Da es unmöglich ist, den Clip zu finden, überlegen wir uns eine andere Lösung. Jana biegt eine Haarklammer so, dass sie in die Lücke des Bremskolbens passt und die Bremsklötze fixiert.
Ich sage es schon die ganze Zeit. Ich hasse Schotterwege. Sie sind viel schwieriger zu fahren und verlangsamen das Tempo. Sie bedeuten jedoch auch, dass man sich von der Zivilisation entfernt und wirklich in die Natur eintaucht. Und wow, das ist es in Kirgistan wert. Janas Fahrrad mag es allerdings nicht so sehr wie wir. Wir halten wieder an, weil eine der Vorderradtaschen herunterhängt. Da zwei Schrauben fehlen, müssen wir die Tasche mit Kabelbindern* an der Vorderradgabel befestigen. Nicht ideal, aber es wird auf jeden Fall halten. Als wir aufschauen, staunen wir über die Schönheit der Landschaft. Es gibt definitiv schlimmere Orte, an denen man eine Fahrradpanne beheben muss.
Der Kara-Keche-Pass und ein Kohlebergwerk
Dem Kegeti-Pass folgt schnell unser nächster Anstieg zum Kara-Keche-Pass. Wir wachen früh auf und begeben uns auf eine Sandstraße in Richtung Song-Kul-See. Es liegen nur noch 1300 Höhenmeter vor uns, als die Straße steiler wird. Die Straßenverhältnisse werden besser und der Weg beginnt, eher wie eine Passstrasse auszusehen. Wir fahren um eine Serpentine und werden zu unserem Erstaunen mit einer riesigen Kohlemine am gegenüberliegenden Berghang konfrontiert.
Einem Bergwerk so nahe zu kommen und es zu beobachten, während wir den Pass hinauffahren, ist durchaus interessant. Gleichzeitig ist es aber auch beängstigend zu sehen, wozu der Mensch fähig ist, um die zum Überleben benötigten Ressourcen zu finden. Das Bergwerk Kara-Keche enthält etwa 430 Millionen Tonnen Kohle, von denen jedes Jahr etwa 1 Million Tonnen abgegraben werden. Diese Kohle versorgt ein Kraftwerk in Bischkek, das allein 15 % des gesamten kirgisischen Stroms liefert.
Kurz vor dem Pass nimmt die Steigung ab und wir kommen auf ein weites, offenes Plateau auf über 3000 m Höhe. Hinter uns hören wir den Motor eines Motorrads. Timon, ein Niederländer, hält an, um ein wenig zu plaudern. Er scherzt, dass er unseren Spuren im Sand schon seit 20 km folgt.
Als er sich verabschiedet und mit seinem Motorrad den Berg hinauffährt, treten wir müde in die Pedale. Nur noch einen Kilometer zum Pass. Das Leben wäre so viel einfacher mit einem Motor.
Kaum haben wir den höchsten Punkt des Passes hinter uns gelassen, blicken wir auf riesige grüne Weiden und sanfte Hügel. In einer der vielen S-Kurven sehen wir Timon wieder. Seltsamerweise liegt sein Motorrad auf der Seite und er steht daneben. Die Straße unter uns wird schlammig. Es muss hier oben viel geregnet haben. Da es unmöglich ist, weiter zu fahren, schieben wir unsere Räder die letzten 50 Meter bis zu dem Ort, an dem Timons Motorrad liegt. Der Schlamm klebt an unseren Füßen und Reifen, während wir vorwärts stapfen, ähnlich wie in Georgien.
Auch Adventure-Motorräder tun sich in diesem Terrain offenbar schwer. „Es ist zu schlammig“, sagt Timon. „Ich bin zur Seite gerutscht und gestürzt“. Da er sich den Rücken verletzt hat, kann er das Motorrad nicht mehr aufheben. Mensch, und ich dachte, unsere Fahrräder wären schwer! Wir müssen sein Motorrad zu dritt aufheben, um es wieder auf den Ständer zu stellen. Zum Glück ist es nicht beschädigt. Nachdem er sich einen Moment gesammelt hat, fährt er wieder los. Wir sehen uns am See, Kumpel!
Eine Armee von Schafen mit einem jungen General
Ich steige aus dem Zelt, um wie üblich Kaffee zu kochen. Links von mir sehe ich ein Schaf auf der Hügelkuppe, etwa 100 m entfernt. Ich bücke mich und hantiere einen Moment mit dem Kocher herum. Als ich wieder nach oben schaue, ist der gesamte Hügelkamm von Schafen gesäumt. Es ist wie in Kriegs- und Cowboyfilmen, wenn Soldaten eine andere Armee umzingeln. In typischer Weise taucht dann der General der Armee auf. Auf einem Pferd reitet er zu seinen Truppen hinauf, seine Silhouette erhebt sich über die Masse der Schafe und ragt auf mich ins Tal hinunter.
Zum Glück sind die Schafe mehr daran interessiert, dem Gras Schaden zuzufügen, als mir. Sie wandern grasend um das Zelt herum. Der Armeegeneral entpuppt sich als ein einheimischer jugendlicher Schäfer. Er gibt seinen Truppen keinen Angriffsbefehl, sondern bietet Jana und mir ein paar Nougatbonbons an.
Jana wechselt ein paar Worte mit dem Teenager und hilft mir dann beim Packen. Die nächsten 20 Minuten sitzt er schweigend auf seinem Pferd und beobachtet jede unserer Bewegungen. Gerade als wir losfahren wollen, steigt er vom Pferd ab. Dann sagt er etwas auf Russisch, das weder Jana noch ich verstehen. Durch Gesten in Richtung seines Pferdes erkennen wir, dass er uns einen Proberitt anbietet. Jana ist als Kind geritten, aber außer einem Eselausritt am Strand habe ich keinerlei Reiterfahrung.
Sogar das Pferd sieht ängstlich aus, als ich versuche, in den Sattel zu steigen. Nach mehreren Versuchen und mit viel Hilfe des jugendlichen Schäfers halte ich es gerade mal eine Minute im Sattel aus, bevor ich darum bitte, abzusteigen. Ich hatte nicht bemerkt, dass der Teenager die Zügel völlig losgelassen hat. Das Pferd hätte theoretisch einfach weglaufen können, während ich auf seinem Rücken hin- und hergeworfen werde! Zum Glück dreht es sich nur auf der Stelle im Kreis!
Jana springt anmutig in den Sattel und wieder lässt der Junge die Zügel los. Erfolgreicher als ich, bringt Jana das Pferd dazu, ein paar Schritte weit zu gehen. Der Junge verzieht jedoch enttäuscht das Gesicht, als hätte er erwartet, dass wenigstens einer von uns richtig reiten kann. Mit gepackten Fahrrädern verabschieden wir uns von dem nettesten Armeegeneral, den wir je getroffen haben. Es ist Zeit, nach einer Jurte zu suchen!
Das Jurten-Camp am Song-Kul-See
Es ist verrückt, dass es einen riesigen See auf 3000 m Höhe gibt. Entlang des Sees gibt es mehrere Jurtencamps. Das Camp, das uns empfohlen wurde, liegt nur einen Steinwurf vom Seeufer entfernt und hat 8 Jurten. Wir werden von der Familie, der das Camp gehört, begrüßt und zu einer Jurte geführt. Sie ist von innen mit rot gestrichenem Holz getäfelt. Auf dem Boden liegen zwei dicke Teppiche und zwei Matratzen mit Bettzeug. Sonst ist der Raum bis auf einen Holzofen neben dem Eingang leer.
Da wir dringend eine Dusche brauchen, zeigt die Familie uns ein Häuschen, das mit einem Holzofen wie eine Sauna beheizt wird. Darüber steht ein Wassertank. Wir schöpfen das heiße Wasser mit Eimern aus dem Tank und gießen es uns über den Kopf. Es mag rustikal klingen, aber es ist fantastisch!
Nach einem Nachmittagskaffee und Abendessen kuscheln wir uns unter die dicken Bettdecken in der beheizten Jurte. Um 1 Uhr morgens wachen wir auf, weil draußen Kühe grasen. Wir drehen uns auf die andere Seite und ignorieren den Lärm. Die Kühe kommen immer näher. Irgendwann kracht es. BAAAAAM!! Wir hören, wie eines der Fahrräder, die an die Jurte gelehnt waren, zu Boden fällt. Halbnackt stürme ich hinaus in die Kälte, um den Schaden zu begutachten. Das Geräusch des auf den Boden aufschlagenden Fahrrads muss die Kühe verschreckt haben, denn draußen ist alles verlassen. Ich trage die Fahrräder ins Innere der Jurte und hoffe, dass wir nicht nochmal gestört werden. Mit Ohrstöpseln, die uns vor weiterem Lärm schützen, schlafen wir bis zum Morgen durch.
Jetzt, wo es hell ist, können wir sehen, was passiert ist. Eine Kuh hat vermutlich versucht, die Plastikabdeckung am Lenker meines Fahrrads zu fressen. Auf der Plastikhülle klebt ein Aufkleber mit der britischen Flagge. Ich vermute, dass die Kühe damit ihren Unmut über die Behandlung ihrer Cousins durch die britischen Rinderfarmer zum Ausdruck bringen wollten.
Geistig und körperlich erschöpft vom Auf- und Abstieg zum und vom Song-Kul-See, legen wir in der Stadt Naryn eine Pause ein. Ein paar Bierchen mit anderen Touristen helfen unseren Körpern, sich zu erholen. Mental kann ich mir jedoch nicht vorstellen, noch so einen Bergpass zu fahren.
Ein weiterer Pass
Es dauert nur zwei Tage, bis Jana mich überredet, wieder auf das Fahrrad zu steigen und einen weiteren Monster-Pass in Angriff zu nehmen. Diesmal den bisher höchsten! Der Tosor-Pass liegt auf gewaltigen 3893 Höhenmetern.
Geplant sind 5 Tage ohne Zivilisation. Das bedeutet, dass wir genug Wasser bis zum letzten Dorf einpacken müssen. Danach können wir unbesorgt aus Bergbächen trinken. Wir packen genug Essen für die gesamte Strecke ein. Die Motivation, diesen Pass zu meistern, ist riesig. Freunde aus Frankreich werden uns auf der anderen Seite treffen. Wenn wir wieder ein Telefonsignal haben, muss ich sofort mit meinem Bruder telefonieren, denn möglicherweise werde ich in den nächsten Tagen Onkel!
Jana freut sich auf Flussüberquerungen. Sie meint, dass dies zu einer Radtour in Kirgistan gehört. Ich sehe sie als das, was sie sind. Lästig und nass.
Jana bekommt ihren Wunsch erfüllt. Vor uns in der Tiefe rauscht ein Fluss vorbei. Die Brücke, die es hier mal gab, ist weggespült worden. Die einzige Möglichkeit, den Fluss zu überqueren, besteht darin, ein Stück zum Ufer hinunterzugehen und durch das Wasser zu waten.
Es soll nicht die letzte Flussüberquerung sein. Die Natur hat die Straße zum Tosor-Pass so sehr beschädigt, dass wir uns in einem Zyklus befinden: Fluss, nasse Füße, Handtuch, trockene Füße, Fluss, nasse Füße, Handtuch*, trockene Füße…
Jede Überquerung ist ein wenig anders und wird zu einer amüsanten Unterbrechung der täglichen Routine. Die nächste Überquerung ist ein wenig beängstigend. Es gibt keinen klaren Weg, den man nehmen kann. Ich trete auf den ersten größeren Stein, aber das Wasser steht mir bis zu den Knien. Mit meinem vollgepackten Fahrrad werde ich das auf keinen Fall alleine schaffen. Jana kommt mir zur Hilfe. Halb tragend, halb schiebend, schaffen wir es, mein Rad hinüber zu bringen.
Nachdem wir Janas Fahrrad ohne Gepäck über den Fluss gebracht haben, holen wir mit tauben Füßen die Taschen im Shuttlesystem. Bei unserer letzten Runde kommt uns eine Schafherde entgegen. Im Gegensatz zu uns springen die Schafe einfach durch den eiskalten Fluss. Es scheint sie nicht zu stören, dass ihnen das Wasser bis zum Bauch steht.
Wir blicken zurück auf den Fluss, wo die Schafe noch immer drängeln, um aus allen möglichen Winkeln den Fluss zu überqueren. Ein kleines Lamm tut sich schwerer als die anderen und stürzt im Wasser. Dazu sagt Jana eines der besten Zitate bisher: „Ahhh das arme kleine süße Lamm ist reingefallen“. Das Lämmchen scheint das aber nicht zu stören. Es steht auf, schüttelt sich und springt auf die andere Seite des Ufers. Dann frisst es weiter Gras, als ob nichts passiert wäre. Ich greife nach einem Handtuch, um meine nassen und tauben Füße abzutrocknen. Bevor ich anfange zu jammern, denke ich an das kleine Lämmchen. „Komm schon Joel, sei ein tapferes Lämmchen“, denke ich mir.
Das Wetter spielt verrückt
Es ist Mitte August, aber selbst das ist auf 3000 m keine Garantie für gutes Wetter. Als die Sonne untergeht, öffnet der Himmel seine Schleusen. Wir sind gezwungen, das Zelt* im Regen aufzustellen. Dazu machen wir einen Plan, wie wir das Zelt am besten aufbauen können, ohne dass das Innere nass wird. Wir beginnen, die Stangen an der bereits auf dem Gras ausgelegten Außenschicht zu befestigen. Jana fragt immer wieder, ob ich sicher bin, dass ich die richtige Ecke an der Stange befestigt habe. Ich war bei den Pfadfindern, ich könnte dieses Zelt mit geschlossenen Augen und auf dem Rücken gefesselten Händen aufbauen. Natürlich habe ich alles richtig gemacht.
Als wir die Stangen zusammenschieben und in die Ösen stecken, wird mir klar: Ich hab’s verbockt. Jana hatte recht. „Es bringt jetzt nichts, darüber zu streiten“, rufe ich. Das Innere des Zeltes ist nass. Na toll.
Wir stehen früh auf und fahren in Richtung des Tosor-Passes, 3890 m über dem Meeresspiegel. Es ist aufregend, höher zu sein als auf der ganzen Reise bisher. Je weiter wir kommen, desto mehr pfeifen wir aus den letzten Löchern. Als wir uns dem Gipfel nähern, liegt sogar ein wenig Schnee auf dem Boden. Oben in den Wolken angekommen, hat es nur noch ein paar Grad über dem Gefrierpunkt. Es ist verrückt, wenn man bedenkt, dass die Temperaturen in Bischkek vor ein paar Tagen noch bei 40 Grad gelegen haben.
Es geht bergab und wir kommen aus den Wolken heraus ins Sonnenlicht. Leider ist der blaue Himmel nur von kurzer Dauer, denn schon bald ziehen dunkelgraue Wolken von den Berggipfeln herüber. Erst kommt der Regen, dann prasselt Hagel auf uns nieder. Es fällt so viel Niederschlag in so kurzer Zeit, dass sich die Straße in einen Fluss verwandelt. Die Böschung am Straßenrand sinkt in sich zusammen, wie ein kleiner Erdrutsch. Wir können den Boden unter uns vor lauter schlammigem Wasser nicht mehr sehen. Es ist gefährlich, denn wir wissen nicht, wo der Weg endet und ob sich Hindernisse auf dem Schotterweg befinden.
Als wir in unserem Gästehaus ankommen, sind wir froh, einfach Fertignudeln zu essen und ein paar Tage frei zu haben. Das Gästehaus Pavel ist super, mit einem schönen, gut gepflegten Garten. Wir genießen einen Abend mit unseren Freunden Alex und Jerome, trinken Pfirsich- und Cassiswein, unterhalten uns über ihr Leben zu Hause und tauschen uns über unsere Erfahrungen in Kirgistan aus.
Die große Nachricht kommt aus Schweden: Meine Nichte Alba ist geboren! Ich freue mich riesig für meinen Bruder und seine Frau und weiß, dass meine Familie im Vereinigten Königreich genauso aufgeregt ist wie ich. Momente wie diese sind großartig, aber es bricht mir das Herz, Tausende von Kilometern entfernt zu sein.
Es gibt für alles ein erstes Mal
Auch die erholsamen und angenehmen Zeiten müssen irgendwann zu Ende gehen: Wir schwingen uns wieder auf unsere Räder und fahren östlich von Tamga entlang der Südseite des Issyk-Kul-Sees. Jana hat den Weg heraus aus der Stadt auf kleinen Nebenstraßen geplant. Wir versuchen, den großen Pfützen auf dem Feldweg auszuweichen und kommen dabei kaum vorwärts. Jana verliert das Gleichgewicht. Ihr Fuß rutscht weg und sie fällt seitlich vom Rad in eine große Schlammpfütze. Es ist Janas erster Sturz auf der Reise. Zum Glück geht es ihr gut. Der Trinkflaschenhalter an ihrem Fahrrad ist das einzige, was beschädigt wurde, abgesehen von ihrem Stolz.
Dreckiger als zu Beginn des Tages halten wir am Abend am Ufer des Sees an. Die Aussicht auf die umliegenden schneebedeckten Gipfel ist mehr als genug, um einen harten Tag auf dem Rad zu rechtfertigen.
Die Wetterbedingungen sind im Moment nicht gerade hilfreich. Es ist zwar warm, aber der Wind ist unheimlich stark. Am nächsten Tag bläst er uns so stark entgegen, dass wir absteigen und schieben müssen. Als der vierte Lastwagen an uns vorbeifährt, sehe ich Jana an: Wir denken beide das Gleiche. Wir sind erschöpft und hoffen einfach nur, dass dieser Anstieg bald vorbei ist. Glücklicherweise erklärt sich der nächste Fahrer bereit, uns und unsere Fahrräder mitzunehmen. Wir sind bisher nur ein einziges Mal getrampt und das durch einen Tunnel. Das ist das erste richtige Mal Trampen für uns.
Eine neue Fahrrad-Crew
Nachdem wir den Issyk-Kul-See in Richtung Nordosten verlassen haben, überqueren wir die Grenze nach Kasachstan. Nur 90 km westlich von uns liegt China, aber ohne Visum sind wir stattdessen auf dem Weg nach Almaty. Von dort aus fliegen wir nach Südkorea.
An der Grenze verwandelt sich die Straße von einer löchrigen Betonpiste auf der kirgisischen Seite zu einem makellosen dunkelgrauen Asphalt auf der kasachischen Seite. Wir sitzen auf unseren Campingstühlen neben der Traumstraße und machen eine Mittagspause. Muriel, ein Radfahrer aus Italien, setzt sich auf einen Kaffee zu uns. Kurz darauf stoßen auch Kat aus Kanada und Simon aus England dazu. Jetzt sind wir ein 5-köpfiges Team, das den ganzen Nachmittag zusammen fährt und nachts gemeinsam zeltet. Kasachstan scheint das Land zu sein, in dem wir mit anderen Bikepackern zusammenkommen. Wir erinnern uns an unser Abenteuer mit Moritz, Jonas und Jeremy vor ein paar Monaten.
Als wir am Morgen wieder auf der Straße sind, wird die Landschaft flacher und die Straßen gerader. Die Kasachen müssen den Straßenbau von den Römern gelernt haben. Es ist unglaublich, wie gerade die Straßen oft sind, und das über so große Entfernungen. Im Charyn-Canyon-Nationalpark machen wir eine Pause auf einem Parkplatz, der in ein Filmset für eine ägyptische Fernsehserie verwandelt worden ist. Man erlaubt uns nicht, das Set zu betreten oder überhaupt in die Nähe des Drehgeschehens zu kommen, stattdessen werden wir zum Verlassen des Parkplatzes aufgefordert. Fast wie eine Bestechung erhalten wir im Gegenzug eine ganze Palette Wasserflaschen.
Unsere letzte Fahrt in Zentralasien
Wir lassen die anderen zurück und setzen die Fahrt nach Almaty fort. Mit Rückenwind erreichen wir die Stadt innerhalb von 2 Tagen. Ein schöner Weg, um unsere Reise durch Zentralasien zu beenden.
Almaty ist mit seinen rund 2 Millionen Einwohnern die größte Stadt, in der wir seit langem waren. Kat und Simon holen uns ein. Wir gehen mit ihnen in die Paulaner-Brauerei und beenden den Abend mit einem Curry. Sehr europäisch von uns. Auch andere Radfahrer sind in der Stadt, so dass wir eines Abends in einer anderen Bar eine Gruppe von 8 Personen bilden. Die Bestellung mehrerer Biertürme zum Teilen fühlt sich fast noch europäischer an. Na ja, nach all den Tagen in der Wüste oder in den Bergen Zentralasiens haben wir uns das definitiv verdient.
Janas Woche geht in derselben Weise weiter. Ich schaffe es jedoch, eine Reise nach Schweden zu organisieren. Über Bischkek und Istanbul komme ich in Uppsala an, um meine kleine Nichte zu besuchen.
Zurück in Almaty und am Flughafen, treffen wir zwei andere Radreisende. Poggy, einer der Jungs vom Bierturmabend, und sein Kumpel sind ebenfalls auf dem Weg nach Seoul.
Wenn man mit dem Fahrrad um die Welt fährt, merkt man, dass sie gar nicht so klein ist, sondern riesig. Es dauert ewig, sie zu umrunden. Andererseits ist die Welt aber auch klein. Irgendwie scheinen wir an den Flughäfen immer wieder auf andere Radfahrer zu stoßen. Vielleicht sagt das etwas über Fahrradtouren aus. Wir sollten einfach alle fliegen anstatt zu radeln. Keine Chance! Die Seen und Berge Kirgistans sind ein Traum und die perfekten Beispiele dafür, warum Reisen über Land so besonders ist!
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