Kroatiens Norden
Sengende Hitze und ein kleines Paradies
In diesem Blogeintrag geht es darum,
wie wir Ratschläge von Ortskundigen annehmen, ein kleines Paradies finden und irgendwie mit der Affenhitze der letzten Juliwochen klarkommen. Wir stoßen auf unbefahrbare Streckenabschnitte und entscheiden uns für ein etwas unkonventionelles Frühstück. Wie so oft treffen wir wieder Menschen, die unsere Reise durch ihre Hilfsbereitschaft besonders machen. Viel Spaß beim Lesen!
Ratschläge an einer echten Grenze
Durch zwei Länder sind wir heute schon gefahren, Kroatien ist das Dritte. Der zweite Grenzübertritt am heutigen Tage ist auch gleichzeitig die erste harte Grenzkontrolle, denn wir verlassen den Schengen-Raum: Wir strampeln auf einer verlassenen Straße mitten auf der Hochebene, die hier Slowenien von Kroatien trennt. Schon etwa seit eine Stunde hat uns kein Fahrzeug mehr überholt. Das Thermometer zeigt stolze 35 Grad Celsius an und wir haben bereits über 850 Höhenmeter hinter uns. Die großzügig angelegte Grenzstation wirkt fast wie eine Fatamorgana. Die beiden Grenzposten sind sehr freundlich: Unsere Flaschen werden von der slowenischen Grenzbeamtin mit kühlem Trinkwasser aufgefüllt, während der kroatische Beamte unsere Pässe checkt. Er kennt die Gegend sehr gut und so empfiehlt er uns eine Alternative zu unserer Route. (Anmerkung: Der Beamte kann nicht ganz verstehen, wieso wir unterwegs zu einem Campingplatz sind – warum wir nicht einfach am Straßenrand zelteten? Die Migranten täten das doch auch? – Wildcampen ist in Kroatien übrigens verboten.)
Ratschläge von Fremden sind immer so eine Sache. Einerseits kennen sich die Locals zwar mit den örtlichen Gegebenheiten aus, andererseits werden Höhenmeter und schwierige Straßenbeläge von nicht-Radfahrern oft unterschätzt. Aus Höflichkeit nehmen wir denn Rat schließlich an. Der Beamte ruft uns noch hinterher: “Keine Angst, wenn ihr Migranten seht! Die wollen nichts von euch, die ziehen alle weiter… nach Deutschland oder Frankreich!”
Wir fahren durch das halb verfallene Dorf Slum (ein wirklich treffender Name), und dann geht es auf den letzten 2 Kilometern doch noch einmal knapp 100 Höhenmeter hinauf, sodass wir am Ende des Tages fast die Tausend Höhenmeter knacken. Der Grenzbeamte hatte uns versichert, dass der Weg großteils flach sei.
Ein Paradies im Nirgendwo
Auf einer komplett ausgedörrten Hochebene befindet sich am Ende eines Schotterweges ein teils eingezäunter Bereich mit einem verwitterten Willkommensschild. Wir sehen zwei Camper in einem kleinen Wäldchen auf dem vertrockneten Gras stehen. Weit und breit ist keine Menschenseele zu sehen, nur blonde Frau mittleren Alters steht an einem steinernen Waschbecken vor einer kleinen Steinhütte und wäscht Geschirr ab.
Wir sprechen kurz mit der Dame, einer österreichischen Camperin, rufen Nevio, den Besitzer des Platzes an, der bis zum Folgetag unterwegs ist, an. Wir erfahren, dass es hier oben kein Trinkwasser gibt und sich der nächste Brunnen und Einkaufsladen in Buzet, circa 400 Höhenmeter tiefer im Tal befindet. Na toll. Wir würden am liebsten sofort wieder fahren, weg von diesem vertrockneten, trostlosen Ort, aber was dann?
Wir versuchen, einen kühlen Kopf zu bewahren – nach der Hitze und Anstrengung des Tages nicht ganz einfach. Nach der Inventur unserer Wasservorräte kommen zu dem Schluss, dass wir noch genug Trinkwasser für den Abend haben. Das Tankwasser zum Abwaschen/Duschen ist außerdem kühl und geruchslos, sodass wir dieses in unsere Filterflaschen füllen.
Dem Camping- und Paraglide-Startplatz Raspadalica eine Chance zu geben, ist im Nachhinein eine der besten Entscheidungen: Unsere österreichischen Nachbarn erkennen unsere Notlage und versorgen uns mit Trinkwasser, Nevio bringt uns am nächsten morgen frisches Wasser vom Brunnen und wir bleiben gleich vier Tage: Raspadalica ist nicht der ausgedörrte, trostlose Ort, den wir bei unserer Ankunft gesehen haben: Raspadalica ist vor allem wegen des Paraglide-Startplatzes bekannt, die meisten Gäste kommen nur deswegen. Wir haben die Möglichkeit, die Paraglider direkt beim Starten zu beobachten.
Und das Beste an Raspadalica : der unglaubliche Infinity Pool, den Nevio direkt an den Abhang gebaut hat und von dem aus man einen grandiosen Ausblick über Buzet und die Umgebung hat. Ein wahrer Segen bei den Temperaturen, die nachmittags schonmal auf die 40 Grad klettern. Nicht nur wir genießen den Pool in vollen Zügen, sondern auch die Tiere der Umgebung, die nachts zum Trinken kommen. Denn dies ist die einzige Frischwasserquelle in der näheren Umgebung.
Vorsicht, Waldbrand!
In Raspadalica lernen wir auch die Backpacker Noor und Nean kennen, die in den Niederlanden gerade ihr eigenes Tiny House als Antwort auf die steigenden Immobilienpreise bauen und die Bikepacker Perrine und Tristan aus Belgien. Als wir mit den vier anderen abends am Pool sitzen, ein Bier trinken und in die Sterne schauen, beginnt es plötzlich, nach Rauch zu riechen. Ein Waldbrand in der Nähe? Aktuell gibt es durch die Hitze und den Mangel an Regen viele Brände. Wenig später sieht man den Rauch auch und die Sterne verschwinden am schwarzen Himmel. Ein Feuer sieht man jedoch nicht. Später erfahren wir, dass es einen großen Waldbrand in der Nähe von Triest gibt und sich der Rauch bis hierher – 50 km entfernt- ausgebreitet hat. Waldbrände, die man in Deutschland ja meistens nur im Fernsehen sieht, nehmen wir zum ersten Mal als reale Gefahr wahr.
Eine schweißtreibende Angelegenheit
Es ist Donnerstag und so heiß, dass wir uns entscheiden, der Mittagssonne im Pool zu trotzen und erst nachmittags weiter zu fahren. Schweren Herzens verlassen wir Raspadalica um 15:00 bei 34 Grad. Es ist viel zu heiß und außerdem geht es bergauf, denn wir müssen den Učka Nationalpark überqueren, um nach Rijeka zu gelangen. Wir kaufen in beinahe jedem Supermarkt, der auf unserem Weg liegt, ein kühles Getränk und gegen Abend wird die Temperatur langsam erträglicher. Wir erreichen Brest pod Učkom und wundern uns sehr, dass uns nach so vielen Höhenmetern und Serpentinen nun wieder ein Plateau erwartet – das kleine Dorf mit rund 50 Einwohnern liegt umgeben von Feldern auf etwa 590 m, doch man könnte meinen, man sei auf Meeresebene.
Wir beäugen die Felder rund um Brest mit Interesse – hier unser Zelt aufzuschlagen, wäre perfekt! Doch es ist schon spät und wir sehen keine Bauern auf den Feldern. Im Dorf sitzt ein älteres Ehepaar auf dem Balkon und wir fragen nach dem Besitzer der Felder bzw. ob wir in ihrem Garten zelten können. Die älteren Leute scheinen uns trotz all unserer Anstrengungen nicht verstehen zu wollen, sie zeigen auf einen Parkplatz in der Nähe ihres Hauses. Das ist uns jedoch zu gefährlich, denn mitten in der Urlaubssaison in einem Nationalpark zu Campen ist in Kroatien sicherlich keine gute Idee.
Eine heiße Nacht
Ein Stück weiter hören wir einen Traktorenmotor und folgen dem Geräusch zum Hof eines älteren Ehepaares. Die Bäuerin spricht recht gut englisch und wir bitten um Erlaubnis, in ihrem Garten übernachten zu dürfen. Die beiden sind zunächst etwas skeptisch, aber dann dürfen wir doch unser Zelt auf dem angrenzenden Feld aufschlagen, sogar Kaffee wird uns angeboten, doch aufgrund der Hitze lehnen wir das Angebot dankend ab. In dieser Nacht sinken die Temperaturen kaum unter 30° Celsius.
Der härteste Tag
Der nächste Tag führt uns weiter durch den Učka Nationalpark und über das gleichnamige Gebirgsmassiv auf knapp tausend Höhenmetern, doch diesmal sind wir vorbereitet: um 5:50 klingelt der Wecker und um 07:00 sitzen wir bei kühlen 27° Celsius auf unseren Drahteseln. Der geteerte Weg, dem wir am Vortag gefolgt waren, verwandelt sich fast sofort in einen groben Schotterweg. Auf einem Mountainbike sicher eine spannende Herausforderung, für unsere Tourenräder eine Art Spießrutenlauf: Selbst bei einer 5-prozentigen Steigung kann jeder größere Stein zu einem Sturz führen und ständig dreht das Hinterrad durch. Kein Spaß und furchtbar anstrengend. Je weiter wir kommen, desto loser wird das Geröll und desto stärker wird die Steigung. In den kommenden Kilometern stoßen wir an unsere Grenzen: zunächst müssen wir die Räder schieben, dann wird es so steil, dass uns nicht mal das mehr gelingt. Über eine Strecke von rund zwei Kilometern bugsieren wir zu zweit je ein Fahrrad etwa 100 Meter weiter, dann das andere. Unser bisheriger Negativrekord: 2 Stunden für 5 km.
Stieleis zum Frühstück
Glücklicherweise gelangen wir auf eine Art hügelige Hochebene umgeben von Sträuchern und Büschen – hier können wir wenigstens wieder fahren, wenn auch langsam. Der Pfad biegt ab auf eine richtige Straße und wir haben die Tortur geschafft – fürs Erste. Zu unserer großen Freude gibt es hier oben ein Besucherzentrum mit einem kleinen Café- wir haben einen Bärenhunger, und so frühstücken wir das einzige, was das Café an Essbarem anbietet: Eis am Stiel! Sehr zu empfehlen: Das kroatische Magnum-Imitat “King” mit den vorzüglichen Sorten Triple Chocolate und Blueberry-Cheesecake.
Wir sind körperlich, aber auch psychisch ziemlich fertig nach dieser Tortur – es ist natürlich ein tolles Gefühl, eine Herausforderung zu meistern, doch heute sind wir eher enttäuscht, denn wenn eine Strecke so gar nicht machbar ist, das demotiviert. Joel nickt auf dem bequemen Strandsessel neben mir kurz ein. Auf einer geteerten Straße geht es jetzt nur noch bergab und wir haben einen tollen Ausblick auf das Meer. Nach Rijeka sind es nur noch 30 Kilometer und am Straßenrand finden wir sogar eine kleine Frischwasserquelle, um unsere Trinkflaschen aufzufüllen – was soll uns heute noch passieren?
Wenn's Läuft, dann läuft's
Zehn Minuten später stolpern wir einen Trampelpfad herunter, umgeben von Brombeersträuchern, deren Dornen ständig an uns und den Rädern hängenbleiben. Die Steigung beträgt minus 24 Prozent, also so teil, dass wir die Räder schon wieder schieben müssen! Es ist schwierig, gleichzeitig zu bremsen, und mit den 40 kg schweren Rädern das Gleichgewicht zu halten. Joel stürzt zweimal mit seinem Rad, ich einmal mit meinem.
Nichts-ahnend waren wir unserem Navigationssystem Komoot gefolgt, anstatt die schöne und asphaltierte Straße am Hang entlang zu nehmen. Unsere Nerven werden noch weiter strapaziert, als der Fußweg sich in eine Treppe verwandelt. “Wenn das ein Radweg ist”, bemerkt Joel gereizt, “dann will ich nicht wissen, wie die Wanderwege hier aussehen.“ Letztendlich überleben wir die halsbrecherische Abfahrt und kommen an der befahrenen Küstenstraße nach Rijeka wieder raus. Wir haben das Gefühl, um eine wohlverdiente Abfahrt betrogen worden zu sein. Aufgrund der unglaublichen Hitze schaltet sich unser Navigationshandy einige Kilometer vor unserem Ziel aus.
Eine diebstahlsichere Garage
Zu guter Letzt geht es an diesem leidigen Tag nochmal einige Kilometer steil bergauf. Mit letzter Kraft kommen wir am Old School Hostel in Draga, Rijeka an. Das Hostel heißt nicht nur so, weil es etwas altmodisch eingerichtet ist – es war früher tatsächlich mal eine Schule!
Wir bleiben für zwei Nächte hier, bevor wir nach Schweden zur Hochzeit von Joel’s Bruder fliegen. Zum Glück hatte der Betreiber des Hostels uns im Vorfeld angeboten, dass wir unsere Räder in seiner Garage unterbringen können. Allerdings bekommen wir den Betreiber während unseres gesamten Aufenthaltes nicht zu Gesicht, da er sich ständig bei einem „Job“ befindet. Letztendlich händigt ein Freund von ihm Joel einen Schlüssel aus.
Kleines Problem: Nachdem die Räder in der Kammer eingeschlossen sind, lässt sich die Türe nicht mehr öffnen – wohl aufgrund einer hitzebedingen Ausdehnung. Joel probiert es am nächsten Tag einige Male, dann einige andere Gäste, dann ich. Pustekuchen. Da sind die Räder wohl noch sicherer verstaut, als wir dachten!
Anmerkung: Am Morgen vor unserem Flug gelingt es Joel dann doch noch, die Tür zu öffnen. Während unseres Aufenthaltes in Schweden ließ der Betreiber das Schloss reparieren.
Noch ein paar Eindrücke
Einen Blogartikel zu schreiben ist sehr zeitaufwendig und wir sind beim Posten auf gutes Internet angewiesen, sodass unsere Erlebnisse hier oft einige Wochen zurückliegen. Wo wir aktuell sind, könnt ihr auf dieser Karte bzw. über unseren Instagram-Account verfolgen!