Zwischen Dschungel und Love Motels
Eine Radreise durch Südkorea
Auf zu neuen Abenteuern!
Nach den Strapazen Zentralasiens ist Südkorea eine willkommene Abwechslung für uns. Neben einer Fahrrad-Infrastruktur, die jeden Holländer von den Socken hauen würde, erwarten uns tropische Wälder, eine faszinierende Badekultur, verrückte Motto-Hotels und ein Tag in einem buddhistischen Kloster.
Viel Spaß beim Lesen!
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Inhaltsverzeichnis
- Ein Auftakt mit Hindernissen
- Proteste, Paläste und ein Pferdetanz in Seoul
- Ein Nudel Faux-Pas mit Folgen
- Das perfekte Kalorien-Preis-Verhältnis
- Ein Blick nach Nordkorea
- Campen in der koreanischen Wildnis
- Eine Verzögerung in Chungju
- Eine Nacht im koreanischen Badehaus
- Eine freche Übersetzung
- Ein Monsun am Japanischen Meer
- Love Motels und eine Eis-Flatrate
- Ein Tag als Mönch
- Wie Joel fast zum Held wird und eine Korea-Reise zu Ende geht
Ein Auftakt mit Hindernissen
„Ich geh mal eben die Beiden dort fragen, ob die mir mit dem Geldautomaten helfen können!” Joel schlendert über die blitzsauberen weißen Fließen des Terminals hinüber zu einem Pärchen, das auf einer Bank sitzt. Wir brauchen Bargeld. Der Flughafen Seoul-Incheon liegt auf einer Insel. Um auf’s Festland zu gelangen, müssen wir eine Station mit dem Zug fahren. Das Problem: Der Ticketautomat akzeptiert nur Bargeld und der Geldautomat spuckt nichts als koreanische Zeichen aus.
Ich bleibe bei den Fahrradboxen, während Joel den junge Mann bittet, ihm zum Geldautomaten zu folgen. Wenige Augenblicke später kommt Joel mit einem langen Gesicht zurück. „Funktioniert der Automat nicht?”, frage ich besorgt. „Keine Ahnung”, antwortet Joel, „aber der Typ kommt aus Thailand und kann die Schrift auch nicht lesen.”
Angekommen an der Cheongna Station, hieven wir unsere schweren Kisten aus dem Zug und die Rolltreppe herunter. Schwül-heiße Luft schlägt uns entgegen. Ich bin überrascht: Das Klima ist regelrecht tropisch! Im Schatten des Gebäudes schrauben wir die Räder vor der Metro-Station zusammen. Die Reaktionen der wenigen Passanten sind unterschiedlich: Die einen ignorieren uns komplett, die anderen starren uns entgeistert an und einige winken oder rufen uns zu. Wir sind ehrlich gesagt erleichtert, dass niemand uns mehr „OTKUDAAA??“ hinterher ruft.
Neben einem Mülleimer im Erdgeschoss der Station entdecken wir eine zusammengefaltete Fahrradbox. Die muss Poggy gehören, einem irischen Radfahrer, der einen Tag vor uns in Korea angekommen ist. Der Mülleimer ist nicht groß genug für unsere Boxen, weshalb wir sie ebenfalls zusammenfalten und zwischen Papierkorb und Wand klemmen. Das soll ein Nachspiel haben.
Einige Tage später erhalten wir eine Nachricht von Jonas, der kurz nach uns sein Fahrrad an derselben Metrostation zusammengebaut hat: „Mich hat da heute eine Mitarbeiterin von der Station angesprochen. Sie hat gemeint, ich soll gefälligst meinen Müll aufräumen. Es sei schon das fünfte Mal, dass ich so einen Karton da liegen lasse. Wenn ich den nicht mitnehme, ruft sie die Polizei.” Auch Fran aus Deutschland wird kurze Zeit von der gleichen missmutigen Mitarbeiterin zurechtgewiesen. Willkommen in Korea!
Wir fahren zum Start des 4-Flüsse-Fernradweges, der Seoul mit dem 670 km entfernten Busan verbindet. In Korea werden die Menschen auf eine ganz besondere Art zum Radfahren motiviert. Auf den großen Fernradwegen gibt es alle 20-50 km sog. Zertifizierungszentren in roten Telefonzellen, in denen man für jeden Abschnitt einen Stempel in einem speziellen Fahrradpass sammeln kann. Für jeden vollständig gefahrenen Fernradweg bekommt man Sticker oder sogar eine Medaille. Das können wir uns natürlich nicht entgehen lassen!
Proteste, Paläste und ein Pferdetanz in Seoul
In den nächsten Tagen erkunden wir die Metropole Seoul mit knapp 10 Millionen Einwohnern. Als wir die Treppen der Metrostation hinaufsteigen, sind wir umringt von Wolkenkratzern – und mitten in einer Großdemonstration. Im Protest gegen die Maßnahme Japans, Wasser aus Fukushima zurück ins Meer zu leiten, sitzen Menschen in einer kilometerlangen Reihe auf dem Boden. Während die Worte eines Redners auf einer Bühne am Anfang der Schlange aus zahlreichen Lautsprechern ertönen, halten die Demonstranten identische Schilder in der Hand, die sie zu bestimmten Zeitpunkten synchron in die Höhe strecken. Von dieser geordneten und effizienten Art des Streikens könnte sich die GDL mal eine Scheibe abschneiden!
Wir wandern zwischen den Hochhäusern entlang, besuchen den Gyeongbokgung-Palast und den riesigen Schlosspark mitten in der Stadt. Der Eintritt ist frei, wenn man ein traditionelles Gewand – das Hanbok – trägt. Das sorgt für eine schöne Fotokulisse. Doch bevor jetzt alle zu einem der zahlreichen Hanbok-Verleihen rennen: Sorry Leute, wir Westeuropäer sehen in dieser Kluft einfach lächerlich aus. Joel und ich kriegen uns kaum mehr ein, als wir dieses Pärchen im Hanbok entdecken.
Natürlich besuchen wir auch das Gangnam Viertel. Spätestens seit dem zynischen Song Gangnam Style von Psy ist das Schickimicki-Viertel Seouls wohl jedem ein Begriff. Gangnam besteht quasi nur aus Wolkenkratzern, überall sieht man Anzeigen von Marken wie Gucci, Chanel oder Prada. Was wir viel spannender finden: Die außergewöhnliche Architektur der Starfield-Stadtbücherei und die Gangnam-Style Statue an der Metrostation. Klar, dass Joel in der berühmten Reiterpose posiert. Ganz zum Vergnügen der Umstehenden.
Ein Nudel Faux-Pas mit Folgen
In der Nähe unserer Ferienwohnung gibt es einen Convenience-Store (wörtl. Bequemlichkeits-Laden). So wie eigentlich überall. In Seoul muss man nie weiter als 500 Meter bis zum nächsten Laden laufen. Die kleinen Shops verkaufen Snacks, Getränke, Kosmetikprodukte, Campinggas und Fertiggerichte. Also eigentlich alles, was wir brauchen.
Heute entscheiden wir uns für Instant Noodles. Die kommen in Korea in den verschiedensten Größen und Geschmacksrichtungen* und sind qualitativ hochwertiger als das billige Zeug in Deutschland. Jeder Convenience Store stellt zudem heißes Wasser und Sitzgelegenheiten zur Verfügung, sodass man seine Nudeln sofort verzehren kann. Joel nimmt scharfe Käsenudeln, während ich eine Udon-Nudelsuppe wähle. Ich möchte das überflüssige Wasser abschütten. Joel zeigt auf einen Mülleimer, in dem ein Sieb hängt. Ich runzle die Stirn. Ich soll das heiße Wasser in den normalen Plastik-Müllbeutel schütten? Der geht doch kaputt. Ich zögere, aber Joel macht es vor. Ich gieße das heiße Wasser ebenfalls in den Eimer.
„Nooo!!!“ der Ladenbesitzer stürmt hinter dem Tresen hervor. Oh nein. Hätte ich doch nicht auf Joel gehört. Ich drehe mich um. Der Mann redet wild gestikulierend auf Joel ein. Kalter Schweiß bildet sich auf meiner Stirn. Wie erkläre ich, dass das ein Versehen war? Hoffentlich habe ich den Mülleimer nicht zerstört. Sonst müssen wir bestimmt für den Schaden aufkommen… Joel bittet den Mann, den Übersetzer auf seinem Handy zu benutzen. Wir sind überrascht, als wir die Antwort lesen: „Schütten Sie das Wasser nicht weg! Das ist eine Udon- Nudelsuppe, das Wasser gehört dazu.” Mir fällt ein Stein vom Herzen und wir fangen an zu lachen. Ich erkläre, dass ich heute einfach keine Lust auf eine Suppe habe und der Ladenbesitzer beruhigt sich. Er zuckt die Schultern und begibt sich wieder hinter den Tresen.
Geschenke von Einheimischen
Das perfekte Kalorien-Preis-Verhältnis
Wir radeln auf dem Fahrradweg Wish-for-Peace Richtung Nordkorea. Mit der südkoreanischen Fahrrad-Infrastruktur können nicht einmal Länder wie Belgien oder die Niederlande mithalten: Im Großraum Seoul gibt es alle paar Kilometer eine öffentliche (sehr saubere) Toilette, in der wir auch unsere Trinkflaschen* auffüllen können. Wir passieren zahlreiche überdachte Sitzgelegenheiten, Fahrrad Pumpstationen und Convenience Stores. Nach den Strapazen in Zentralasien können wir vollkommen sorglos radeln. Dafür stoßen wir auf eine neue Herausforderung: Genug Kalorien zu einem bezahlbaren Preis finden.
Es gibt nur wenige Supermärkte und die sind nicht mit europäischen Discountern zu vergleichen. Viele der angebotenen Produkte haben wir noch nie gesehen und das, was wir kennen, ist sehr teuer: Mir fallen fast die Augen aus dem Kopf, als ich den Preis für zwei Äpfel umrechne: 8000 ₩, das sind knapp 6€. Bananen sind günstiger: 8 (kleine) Bananen kosten ca. 3€.
Wir sind daher hauptsächlich auf Fertiggerichte in den Convenience Stores angewiesen. Die Auswahl ist groß: Von Instant Nudeln über Currys und Reistaschen bis Bento-Boxen findet man selbst im kleinsten Laden alles. Das Problem sind die geringen Kalorien der meisten Gerichte. Oft verbringen wir eine viertel Stunde mit dem Vergleichen verschiedener Gerichte und deren Kaloriengehalt. Die Frage ist nicht: Was ist am Gesündesten? Sondern: Welches Gericht hat das beste Kalorien-Preis-Verhältnis? In diese Entscheidung fließt auch mit ein, ob es ein Angebot gibt. Wir teilen uns drei Schüsseln Instant Nudeln mit einem Kauf-2-nimm-3-Angebot und zum Nachtisch gibt es einen Kauf-1-nimm-2 Schokoriegel. Noch eine süße Limo dazu und das Kaloriendefizit ist quasi ausgeglichen!
Ein Blick nach Nordkorea
„Eigentlich hätten Sie im Vorfeld reservieren müssen”, tippt die Empfangsdame des Campingplatzes in die Übersetzer-App und wirft stirnrunzelnd einen Blick auf uns. Dann hellt sich ihre Miene auf. „Aber ich mache eine Ausnahme für Sie! Das macht 14000 ₩!”, lächelt sie. Ich überlege kurz. Umgerechnet sind das 9,25€ – günstiger als unser Mittagessen! Der Campingplatz in Paju ist weitläufig, hat saubere Toiletten und zu unserer Freude sogar einen kleinen Convenience Store. Auf dem Platz sind wir die totalen Außenseiter: Viele Koreaner sind Camping-Fans oder wohl eher Glamping-Fans? Unser kleines Zelt sieht etwas verloren aus, inmitten von Pavillons, Lichterketten, Feuerschalen, Elektrogrills und vollständig ausgestatteten Outdoor-Küchen.
Wir besichtigen die Demilitarized Zone (DMZ), eine entmilitarisierte Zone zwischen Nord- und Südkorea, die im Jahre 1953 nach dem Korea-Krieg errichtet wurde. Das Betreten dieser 248 km langen und 4 km breiten Zone ist nur mit einer speziellen Genehmigung möglich. Innerhalb der letzten 70 Jahre gab es zahlreiche Verletzungen der Waffenruhe und Übertretungen der Grenze, insbesondere von nordkoreanischer Seite. Zusätzlich entdeckte Südkorea zwischen 1974 und 1990 insgesamt vier von Nordkorea gegrabene Tunnel, durch die eine Infiltration Südkoreas erfolgen sollte. Der letzte Zwischenfall an der Grenze ereignete sich im Mai 2020.
Wir kaufen Tickets für die Tour und sind wenig später Teil einer dieser asiatischen Bus-Reisegruppen, die man in Europa immer belächelt. Wir besichtigen einen der nordkoreanischen Tunnel, dann geht es weiter zu einer Plattform mit Ferngläsern, durch die man nach Nordkorea hinüber schauen* kann. Es ist ein seltsames Gefühl, in das Propaganda-Dorf Kijong-Dong hinüber zu spähen. Generell vermittelt das ganze Gelände auf südkoreanischer Seite eher den Eindruck eines Freizeitparks. Obwohl sich Nord- und Südkorea faktisch noch immer im Krieg befinden! Was als Touristenattraktion verkauft wird, ist für die Menschen in Nordkorea bitterer Alltag. Das sollte man nie vergessen.
Campen in der koreanischen Wildnis
Seit über einer Woche sind wir in Korea. Wenn wir unser Budget schonen wollen, müssen wir anfangen, wild zu campen. Das ist in jedem neuen Land eine Herausforderung: Wo findet man einen geeigneten Ort? Wie reagieren die Anwohner? Gibt es wilde Tiere? Dementsprechend nervös sehen wir uns in der Gegend um, als wir zwei Tage später die Großstadt Yang-Ju hinter uns lassen. In einem Dorf erspäht Joel mit seinen Adleraugen einen Pavillon auf der anderen Seite eines Sees.
Wir finden einen verwachsenen Pfad, der uns direkt zu dem hölzernen Bauwerk bringt. Gleich nebenan befindet sich eine Outdoor-Fitness Anlage. Alles ist hoch mit Gras überwachsen, keiner scheint sich mehr um diesen Ort zu kümmern. Es ist perfekt für uns. Einziger Wermutstropfen: An den Balken der Holzkonstruktion hängen riesige gelbe Spinnen in ihren Netzen. Wir bauen das Zelt direkt im Pavillon auf, wobei wir vorsichtig darauf bedacht sind, die Spinnen nicht zu stören.
Korea ist so dicht besiedelt, dass wir nie weit von der Zivilisation entfernt sind. Ein paar Tage später – zurück im Großraum Seoul – entdecken wir einen wunderschön verzierten Pavillon auf einem Hang oberhalb des Radwegs. Er steht am Rande eines mit Kies bedeckten Plateaus neben einigen Steinen mit chinesischen Schriftzeichen. Von hier oben blickt man auf der einen Seite direkt auf die vielbefahrene, dreispurige Autobahn und auf der anderen Seite auf den Han- Fluss hinunter.
Es ist ein traumhafter Ort und wir bauen das Zelt im Pavillon auf. Ab und zu kommen Spaziergänger vorbei: Ein älterer Mann versucht sogar, uns in ein Restaurant einzuladen. Wir lehnen dankend ab, denn das Zelt steht schon. In der koreanischen Kultur mischt man sich lieber nicht in die Angelegenheiten anderer ein: Ein junges Pärchen, das vermutlich den malerischen Sonnenuntergang beobachten will, macht auf dem Absatz kehrt, als es uns erblickt.
Auf dem Radweg herrscht reges Treiben und man grüßt sich untereinander. Joel beschwert sich schon, dass ihm die Halswirbelsäule vom ständigen Kopf neigen wehtut.
Weil Dienstags anscheinend alle Campingplätze in Korea geschlossen haben, lotst uns die Touristeninformation zu einer Flussinsel entlang des 4-Flüsse-Radwegs, auf der wir campen können. Kurz vor der Dämmerung erreichen wir die Gangcheonseom-Insel und werden von Camping und Kochen verboten-Schildern begrüßt. Egal – die Touristeninfo hat es uns schließlich vorgeschlagen. Die Insel selbst ist ein großer Park mit grünen Wiesen, Alleen und Bänken. Außer uns ist keine Menschenseele hier. Es ist beinahe gespenstisch still.
Wir schlendern über die Insel und sehen uns nach einem gut versteckten Ort für das Zelt um. Dabei stoßen wir auf ein modernes Toilettengebäude. Sobald man die Türe aufmacht, geht Licht und Musik an. Die Toiletten sind sauberer als in so manchem Hotel. Doch warum ist niemand hier? Ein bisschen gruselig ist es schon, als Beethoven-Musik aus dem Toilettenhäuschen über die menschenleere Insel schallt. Wir finden einen kleinen Pavillon für das Zelt. Als wir die Insel um 07:00 morgens wieder verlassen, liegt sie genau so still und verlassen da, wie am Abend zuvor.
Eine Verzögerung in Chungju
Wir brauchen dringend eine Dusche und eine Pause. Das Raemian-Hotel in Chungju liegt direkt am Radweg. Wir sind nicht die ersten internationalen Bikepacker, die hier absteigen. Unser Zimmer ist ein Traum: Es gibt kostenlosen Kaffee und heißes Wasser, ein Sammelsurium an Kosmetikprodukten und einen GS 25 Convenience Store im Erdgeschoss. Wir holen uns soviel Essen, wie wir uns leisten können, und gucken Netflix auf dem Bett. Den nächsten Tag verbringen wir damit, in Chungju eine Lösung für meine lockere Pedalkurbel zu finden. Auch nach mehrmaligem Festziehen durch verschiedene Fahrradmechaniker lockert sich die Kurbel nach wenigen Kilometern immer wieder.
Wie sich am Folgetag herausstellt, ist das konische Verbindungsstück zwischen Kurbel und Spindel so abgenutzt, dass das gesamte Tretlager ausgetauscht werden muss. Die Reparatur wird mindestens bis zum Nachmittag dauern. Wir nutzen die Zeit, um im kleinen Restaurant gegenüber eine ultra scharfe Rice-Bowl zu essen, stylische Kinder-Sonnenbrillen zu kaufen und Kaffee zu trinken.
Als wir das Rad um 15:30 Uhr abholen, schmerzt nicht nur unsere Geldbörse (80000 ₩), sondern auch meine Oberschenkel. Viel zu spät merke ich, dass die Anzeige am Schalthebel nicht den tatsächlichen Gang anzeigt. Die Kette lässt sich nicht mehr auf das größte Zahnrad (1. Gang) schalten. Das kann doch nicht wahr sein! Während ich sofort zurück zum Fahrradladen will, ist Joel zuversichtlich, dass er das Problem selbst beheben kann. Er schnappt sich mein Rad und den Schraubenzieher, fährt die Strasse auf und ab und schraubt alle paar Meter am Schaltwerk herum.
„Okay ich krieg’s nicht hin!” keuchend hält Joel neben mir an. Seit sage und schreibe einer halben Stunde fährt er nun im Kreis. Ich verdrehe die Augen. Wir fahren zurück zum Fahrradladen. Eine weitere halbe Stunde später reibt die Kette zwar noch in einigen Gängen, lässt sich aber problemlos schalten. Wir wollen endlich weiterfahren, vielleicht schaffen wir es wenigstens aus der Stadt raus, bevor die Sonne untergeht. Da fängt es an, wie aus Kübeln zu schütten.
Der Mechaniker guckt besorgt aus dem Fenster: „Was macht ihr denn jetzt?” Wir schauen uns kurz an. Wir denken beide das Gleiche. Ich antworte: „Wir fahren zurück ins Hotel.” Als wir wenig später vollkommen durchnässt und frierend in die Rezeption des Hotels kommen, kann sich der freundliche Angestellte ein Schmunzeln nur schwer verkneifen. „Ihr schon wieder?” Als Joel ihm eine mitleiderregende Geschichte über einen Tag voller Pech erzählt, bekommen wir unser altes Zimmer wieder – zu einem Freundschaftspreis. Bei Tütennudeln und Netflix sind wir eigentlich ganz froh, dass es so gelaufen ist.
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Eine Nacht im koreanischen Badehaus
Wir verlassen den 4-Flüsse-Radweg in Richtung Osten. Zwischen Apfelplantagen und Urwald schlängelt sich unser Weg durch die Hügellandschaft bis zum Japanischen Meer. Hinter dem Woraksan Nationalpark erreichen wir Danyang, ein pittoreskes Städtchen am nördlichen Arm des Chungju-Flusses.
Wir schieben unsere Räder durch die überdachte Markthalle und finden, wonach wir suchen: Ein Jjimjilbang!
Hinter diesem Zungenbrecher verbirgt sich ein koreanisches Badehaus, in dem man auch übernachten kann. Für umgerechnet 9€ pro Person können wir saunieren, baden und im Schlafsaal über Nacht bleiben! Ich bin etwas nervös, denn es gilt eine strenge Verhaltensetiquette. Der Sauna- und Badebereich, den man nur nackt betreten darf, ist geschlechtergetrennt. Und nackt bedeutet völlig nackt – man braucht gar nicht erst versuchen, sich mit dem Miniaturhandtuch, das man zur Verfügung gestellt bekommt, zu bedecken. Die Duschen befinden sich ebenfalls im Nackt-Bereich und sind zum Großteil Sitz-Duschen. Die Frauen verbringen hier eine Ewigkeit mit Körperpeeling.
Obwohl ich mich vorher im Internet über Jjimjilbangs schlau gemacht habe, weiss ich nicht alles. Wochen später erfahre ich in Japan, dass Haare hochgesteckt werden müssen und nicht ins Wasser hängen dürfen. Die Damen im Bad lassen mich gewähren. Wahrscheinlich habe ich den Ausländerbonus.
Mit knurrenden Mägen wandern wir frisch gewaschen durch die Hallen des Markts nebenan. Überall gibt es Köstlichkeiten. Uns läuft das Wasser im Munde zusammen. Wir entscheiden uns für überbackene Brötchen mit verschiedenen Füllungen und Bratwürstchen. Nicht besonders koreanisch, aber nach Instant-Nudeln ohne Ende eine willkommene Abwechslung! Es schmeckt köstlich! Im großen Schlafsaal des Jjimjilbangs finden bestimmt 30 Leute Platz. Man kann sich Schlafmatten und einen Gummikeil als Kissen von einem Stapel nehmen und es sich irgendwo auf dem Boden des Raumes gemütlich machen. Heute teilen wir den Saal nur mit 4 oder 5 weiteren Personen. Als der Wecker um 07:30 klingelt, sind wir die Letzten. Wir hüpfen nochmal schnell in die Sauna, bevor wir uns endgültig von Danyang verabschieden.
Eine freche Übersetzung
Um nicht 10 Kilometer auf demselben Weg zurückfahren zu müssen, nehmen wir stattdessen eine Abkürzung über einen Bergkamm. Es ist super steil (Tolle Idee, Jana!). Dabei durchqueren wir das kleine Dorf Nodong-ri, in dem wir zum wiederholten Mal anhalten und nach Luft schnappen. Ein älterer Mann winkt uns vom Straßenrand aus zu und lädt uns auf ein Glas Wasser in seinen Garten ein.
Wir freuen uns riesig über diese Gelegenheit, mit Herrn Han Sok-Won und seiner Frau Chong Sun-Il ins Gespräch zu kommen. Generell sind die Koreaner bisher unglaublich freundlich, aber es entsteht selten ein richtiges Gespräch. Herr Han holt eine Flasche Wasser und einen Teller Trauben aus dem Kühlschrank. Perfekte, kernlose, grüne Trauben, von denen das Kondenswasser abperlt. Ein echtes Luxusprodukt, für das man im Supermarkt sicher 10€ hinblättern muss. Wir trauen uns kaum, zuzugreifen. Mithilfe unserer Übersetzer-App erfahren wir, dass Herr Han und Frau Chong Knoblauchbauern sind und ihr Sohn in Australien als Übersetzer arbeitet.
Im Koreanischen gibt es ähnlich wie im Deutschen die Höflichkeitsform “Sie”. Joel’s Handy scheint die Beiden in der Übersetzung zu duzen. Irgendwann werden wir von Herrn Han freundlich darauf hingewiesen, dass es unhöflich sei, ältere Menschen und Fremde mit “du” anzusprechen. Wir entschuldigen uns für das freche Handy. Als wir Herrn Han und Frau Chong unsere Route skizzieren, machen sie sich offensichtlich große Sorgen, dass wir nicht genug zu trinken finden werden. Wir erwähnen, dass wir bereits die usbekische Wüste überlebt haben, aber sie lassen es sich nicht nehmen, uns wenigstens noch Saft und einen Energy-Drink mitzugeben. Mit neuer Energie widmen wir uns wieder dem Berghang.
Ein Monsun am Japanischen Meer
Nach Tagen durch den Urwald im Hinterland Südkoreas erreichen wir endlich das Japanische Meer im Osten! Sonne, Strand und Baden – ich hatte mich schon so darauf gefreut. Stattdessen beginnt es, monsunartig zu stürmen. Es hört gar nicht mehr auf. Wir fahren durch kleine, ärmliche Fischerdörfer und Tsunami-Schutzwälle hoch und runter. Die Wellen peitschen nur so gegen die Buhnen und Betontetrapoden im Meer. Dazwischen wir, im strömenden Regen und mit inzwischen von innen und außen durchnässten Regenklamotten. In einem Seerosenpark finden wir abends einen zweistöckigen Pavillon. Zum Glück ist es nicht besonders windig, sodass wir hier vor dem Regen geschützt sind und in Ruhe kochen können.
Etwa zwei Stunden, nachdem wir uns hingelegt haben, wache ich auf. Draußen braut sich ein richtiger Sturm zusammen. Das Zelt wird vom Wind hin- und hergeschüttelt, während es in Strömen regnet, blitzt und donnert. Auch Joel ist wach und lauscht dem Sturm. Es ist höllisch laut. Als der Sturm auch nach einer halben Stunde nicht ab- sondern eher an Intensität zunimmt, ist klar: Einer von uns muss raus und die Zeltschnüre besser fixieren, sonst ist unser Zelt* bald nur noch ein loser Fetzen Stoff.
Die Wahl fällt einstimmig auf Joel. Inzwischen haben wir so viele feucht-nasse Klamotten angesammelt, dass Joel lieber völlig nackt raus in den peitschenden Regen springt. Die Aktion muss wahnsinnig lustig ausgesehen haben. Wir können nicht anders, als wie verrückt zu kichern, als Joel völlig durchgefroren wieder in seinem warmen Schlafsack liegt. Das Zelt weht zwar immer noch hin- und her, aber jetzt können wir nichts weiter tun. Ich brauche glaube ich nicht zu erwähnen, dass wir in dieser Nacht kaum ein Auge zutun.
Zeit zum Kochen. Die Ruhe vor dem Sturm!
Erleichterung – Das Zelt hat den Sturm überlebt
Nach 100 km mit starkem Seitenwind, aber zum Glück nur noch vereinzelten Regentropfen erreichen wir die Stadt Pohang. Hier entdecken wir einen neuen Lieblings-Radler-Snack: Kkwabaegi, ein längliches Gebäck aus Reisteig, das frittiert und in Zucker gewälzt wird: Außen knusprig, innen zäh! Joel ist auch großer Fan der kleinen Donuts mit süßer Adzuki-Bohnenfüllung.
Love Motels und eine Eis-Flatrate
In Gumi machen wir eine interessante Erfahrung. Als wir unserem Ziel, dem Motel Jess, näher kommen, merken wir sofort: Wir befinden uns im Rotlichtmilieu. Ein Business-Motel reiht sich an das nächste. Die Straßen sind an diesem späten Nachmittag bis auf einige fragwürdig aussehende Gestalten leer. Korea besitzt eine florierende Love-Motel-Kultur. Während Love-Motels im streng konservativen Korea früher vor allem als Liebesnest für junge Paare und Affären galten, sind die preiswerten Zimmer heute auch ein Treffpunkt für Lerngruppen und Gamer, eine Party-Location und Touristenattraktion. Aber machen wir uns nichts vor: Hier boomt natürlich auch das Prostitutionsgewerbe, das offiziell in Südkorea verboten ist.
Love-Motels kommen in allen Größen, Formen und Farben, von kitschig-plüschig bis hochmodern und smart. Es gibt sogar ein Trump-Motel mit Gefängniszellen oder ein Motto-Hotel, in dem man in einer Soju-Flasche oder einer 50000-₩-Geldrolle schlafen kann. Unser Motel hat dagegen ziemlich normale Hotelzimmer. Mit einer Ausnahme: Auf dem Gang steht eine Eistruhe mit Stileis in Vanille-, Schokoladen-, Erdbeer- und Melonengeschmack. Im Zimmerpreis von 20€ enthalten ist eine Eisflatrate!!
Verschiedene Kosmetikprodukte – Standard in koreanischen Hotels
Ein Tag als Mönch
Ein Höhepunkt auf unserer Reise durch Südkorea ist ein sogenannter Templestay. Im Rahmen des Visit Korea Year 2023/2024 werden zahlreiche kulturelle Veranstaltungen gefördert, darunter auch der Aufenthalt in einem buddhistischen Tempel. Korea war 2021 das Land mit den zweithöchsten Arbeitsstunden aller OECD-Länder (2022 Platz 5), sodass viele Menschen eine Auszeit dringend nötig haben. Sie kommen zum Heilen (healing) und Meditieren in ein buddhistisches Kloster. Meistens nur für einen Tag, denn dann ruft die Arbeit wieder. In bestimmten Tempeln können auch Ausländern an den Programmen teilnehmen – im Visit-Korea Year für umgerechnet 21 € pP., mit einer Übernachtung und drei Mahlzeiten.
Ein Tempelbediensteter begrüßt uns und zeigt uns eine Video-Einweisung auf Englisch. Unser Übersetzer ist leider kurzfristig krank geworden. Wir bekommen Tempel-Klamotten: eine bequeme, graue Hose und eine braune Weste. Joel ist ein bisschen enttäuscht, dass er kein oranges Mönchsoutfit wie bei den Mönchen in Thailand bekommt. Zu unserer Überraschung übernachten wir nicht in getrennten Schlafsälen, sondern bekommen ein eigenes Doppelzimmer in einem Hanok, einem traditionellen koreanischen Holzhaus. Die Tempelanlage ist wunderschön in einem Wald gelegen. Wenn man die Augen schließt, ist da nur der Klang des rauschenden kleinen Baches, das Flüstern der Blätter, die sich im Wind bewegen und das Zwitschern der Vögel. Ich kann verstehen, wieso viele Koreaner hier nach Heilung und Frieden suchen.
Unser Zimmer in einem traditionellen Hanok
Der Tempelbedienstete gibt sein Bestes, uns in die Tempel-Etiquette einzuführen. Durch die Sprachbarriere erfahren wir allerdings echt wenig über den Buddhismus an sich. Das Tempelessen dagegen ist super: Da Buddhisten alle Lebewesen als gleichwertig betrachten, ernähren sie sich vegan. Das Essen besteht aus Klebreis, Seetang und verschiedenen fermentierten Gemüsesorten: Kohl, Pilze, Karotten. Es ist ganz anders als alles, was ich je gegessen habe.
Um 04:00 morgens klingelt der Wecker. Im Dunkeln wanken wir in Richtung des Tempels, wobei wir die Hände vor dem Bauch verschränken, wie es die Etikette verlangt. Die Zeremonie selbst ist ziemlich anstrengend. Wir haben keine Ahnung vom Ablauf der Prozedur und versuchen, uns an den Mönchen neben uns zu orientieren. Hinknien, Aufstehen, Verbeugen, Hinknien, Aufstehen, Verbeugen. Besonders meditativ ist es nicht. Vor dem Frühstück legen wir uns nochmal eine Stunde hin.
Von unserem Aufenthalt im Buddhistischen Tempel gibt es sogar ein Youtube-Video (auf Englisch):
Wie Joel fast zum Held wird und eine Korea-Reise zu Ende geht
Zwei Tage später. Mit verstohlenen Blicken beobachten wir die Familie, die im kleinen Holzpavillon langsam ihre Picknickausrüstung einpackt und im Auto verstaut. Wir machen uns bereit, los zu sprinten. „Ihr reist nach Busan?” In gebrochenem Englisch spricht uns ein Radfahrer an, der gerade hinter uns auf dem Radweg zum Stehen gekommen ist. „Ja”, antwortet Joel, „Busan und dann weiter nach Fukuoka, Tokio, Vietnam, Laos …”. Unseren Reiseplan beten wir bestimmt 2-3 mal am Tag herunter. Der Mann ist sichtlich beeindruckt und erzählt uns, dass er in der nächsten Stadt lebt. Er schenkt uns eine Khaki und ein Snickers und fährt weiter. Wir richten unseren Blick wieder auf den Pavillon. Mist, Chance verpasst: Eine andere Familie hat es sich bereits bequem gemacht.
Der rechteckige Holzpavillon, direkt am Radweg gelegen, ist der perfekte Ort zum Campen. Man hat einen grandiosen Blick auf den Fluss mit der gerade darüber untergehenden Sonne und die öffentliche Toilette liegt gleich um die Ecke. Wir sind nicht die einzigen, die ein Auge auf diesen Ort geworfen haben. Mehrere Familien picknicken hier. Wer kann es ihnen verübeln? Wir warten und beobachten das bunte Treiben auf dem Radweg.
Eine Frau in den 70ern schiebt ein Fahrrad mit zwei platten Reifen vorbei. Joel bietet seine Hilfe an und bringt das Rad mit unserer Fahrradpumpe wieder auf Vordermann. Die Frau ist überglücklich und fährt davon. Etwa eine halbe Stunde später – wir haben uns endlich den Pavillon gesichert – kommt die Frau zurück. Mit einem anderen Fahrrad. Sie guckt Joel fragend an. Wieder zwei Platte. Er gibt sein Bestes, doch diesmal passt die Pumpe leider nicht auf ihr Ventil. Und so wird Joel nur fast zum Helden!
In Busan treffen wir uns mit Anna und Thomas, zwei dänischen Overlandern, die wir bereits in Kasachstan kennenlernen durften (kleine Welt und so!), essen alle möglichen Köstlichkeiten und gehen surfen. Dann geht es mit der Fähre weiter nach Japan.
Busan
Südkorea ist ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe. Ein Land mit tropischem Klima, ein Fahrradparadies, mit freundlichen, stolzen, höflichen und zugleich neugierigen Menschen. Es gibt Supermärkte, in denen ich den Großteil der Produkte nicht kenne, kulinarische Köstlichkeiten, eine faszinierende Badekultur, verrückte Motto-Hotels und die saubersten öffentlichen Toiletten, die ich je gesehen habe. Ich bin froh, dass wir die Möglichkeit hatten, mehr als einen Monat in diesem atemberaubenden Land zu verbringen.
Auf Wiedersehen, Korea! 안녕히 계세요 한국!
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