Vom Schwarzen Meer zum Kaukasusgebirge
Bikepacking im Josef-Stalin-Gebiet
Bei mit (*) gekennzeichneten Links handelt es sich um sog. Affiliate-Links. Durch Klick auf diese Links und Erwerb von Produkten unserer Partner erhalten wir ggf. eine Provision. Als Amazon Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen. Ihr unterstützt damit unsere Reise, es entstehen keine Mehrkosten für euch
Inhaltsverzeichnis
- Reisepass-Roullette
- Eine Meinungsverschiedenheit mit dem Sicherheitsdienst
- Fantastische georgische Supermärkte
- Georgisches Brot
- Ein deutsches Ferienlager in den Schwefelbädern
- Mehr Geschenke und ein pessimistischer Franzose
- Josef Stalin und ein bissiger Welpe
- Einheimische Straßenkenntnis und die Deutschen Tramper
- Erste Eindrücke von Tiflis
Reisepass-Roullette
Auf unserer Reise ist mir klar geworden, wie wertvoll ein westlicher Reisepass ist. Dass ich zwei habe, ist ein absolutes Privileg. Mit meinem deutschen Pass kann ich ohne Visum in 157 Länder reisen. (Mit meinem britischen Pass sind es 153 Länder für Bürger aus der Türkei, die ich gerade verlasse, nur noch 77. Der Pass mit den wenigsten visumfreien Einreisen ist Afghanistan mit nur 27).
Georgien ist eines der Länder, in die ich ohne Visum für bis zu 365 Tage einreisen darf. Ich benutze meinen deutschen Reisepass bei der Grenzkontrolle in der Türkei für meinen Ausreisestempel. Da wir in Georgien ein chinesisches Visum beantragen und unsere Pässe ggf. nach Deutschland schicken werden, möchte ich jedoch mit meinem englischen Reisepass einreisen. In einem modernen Gebäude zeigen Polizeibeamte auf drei lange Schlangen, die sich an Stahlgeländern entlang in Richtung Passkontrolle schlängeln. Wir steuern unsere Fahrräder durch die schmalen Gänge und folgen den Leuten vor uns. Ich überreiche dem Grenzbeamten meinen englischen Reisepass. Er überprüft ihn, scannt den Pass und wirft einen Blick auf mich. Dann beginnt er, die Seiten durchzublättern. Ich weiß, was jetzt kommt.
“ Wo du eingereist?“, fragt er. „Es gibt keinen Stempel Türkei!“
Ich erkläre ihm, dass ich zwei Pässe habe. Ein Fehler. Er verlangt nach meinem deutschen Pass. Als ich ihn aushändige, wirkt der Beamte leicht genervt und murmelt verärgert: „Zwei Pässe. Keine zwei Pässe“. Ich bleibe ruhig, drehe mich aber zu Jana um. In ihren Augen sehe ich die Sorge. Wir hatten im Vorfeld überlegt, ob ein Grenzbeamter das Recht hat, einem den Pass wegzunehmen. Glücklicherweise tut dieser das dann aber nicht. Ich bekomme einen Stempel in meinen britischen Pass und werde aufgefordert, weiterzugehen. Leichter gesagt als getan, denn mit dem bepackten Rad zwischen den Absperrungen am Grenzschalter vorbei nach Georgien zu kommen, ist gar nicht so einfach!
Eine Meinungsverschiedenheit mit dem Sicherheitdienst
Angekommen in der Hafenstadt Batumi freuen wir uns darauf, in die georgische Kultur einzutauchen. Wir haben eine Ferienwohnung in einem der vielen Hochhäuser gebucht, die überall in der Stadt aus dem Boden sprießen. Die Fassade des Wohnblocks ähnelt der eines schicken Hotels. Es gibt einen halbkreisförmigen Standstreifen für Autos und eine große Glasfront mit einem Empfangsbereich im Erdgeschoss. Wir schieben unsere Fahrräder in den hinteren Bereich der Rezeption, wo Jana wartet, während ich uns einchecke. Bis auf eine Putzfrau und zwei Rezeptionistin hinter einem langen, glänzenden Holztisch, ist die Halle leer. Das Einchecken läuft nicht gerade reibungslos ab. Zu meinem Glück spricht der junge Hotelier gebrochenes Englisch: Leider darf er trotz Buchungsbestätigung keinen Schlüssel aushändigen, bevor er eine telefonische Bestätigung des Wohnungsinhabers hat. Es gibt nur ein kleines Problem: Der Eigentümer geht nicht ans Telefon.
Derweil herrscht hinter mir ein ziemliches Durcheinander. Während ich versuche, den Check-in-Prozess zu verstehen, scheinen unsere Fahrräder die Aufmerksamkeit eines Sicherheitsbeamten erregt zu haben. Der Mann steht neben Jana, zeigt auf die Fahrräder und redet in aggressivem Ton auf Georgisch auf sie ein. Jana scheint ihr Bestes zu geben, die „Entschuldigung, ich Ausländer, ich nix Georgisch“-Karte zu ziehen. Der Rezeptionist ist leicht verunsichert und späht über meine Schulter, anstatt weiter mit mir zu sprechen. Dann erscheint auch noch der Leiter des Sicherheitsdienstes. Auch er scheint verärgert und zeigt wieder auf die Fahrräder, aber dieses Mal spricht er Russisch. Jana spricht etwas Russisch, sodass ich weiß, dass sie ihn versteht. Sie beteuert jedoch weiterhin ihre Unwissenheit und Unschuld. Der Rezeptionist teilt mir unruhig mit, dass „die Fahrräder ein Problem sind“. Darauf antworte ich ganz entspannt: „Ist schon gut, wenn wir uns beeilen, sind die Fahrräder gleich wieder weg.“ Der arme junge Mann weiß wirklich nicht, ob er den Check-in Prozess fortsetzen soll oder den Männern beim Übersetzen helfen soll. Inzwischen sind mindestens zehn Minuten vergangen. Wie gesagt – es ist ein langsamer Prozess.
Schließlich geht der Eigentümer unserer Ferienwohnung doch noch ans Telefon und wir bekommen den Schlüssel. Mit Hilfe einer Übersetzungs-App teilt uns der Sicherheitsdienst nun unmissverständlich mit, dass die Fahrräder das Gebäude SOFORT verlassen müssen. Wir laden also vor dem Gebäude und unter ständiger Beobachtung durch die Security unsere Taschen von den Rädern und tragen sie durch die Rezeption. Als all unser Hab- und Gut vor dem Aufzug gestapelt ist, transportiere ich alles in den 14. Stock, während Jana die Räder bewacht. Nachdem wir vehement ablehnen, die Räder einfach vor dem Gebäude anzuschließen, bietet der Mitarbeiter vom Sicherheitsdienst uns etwas versöhnlich an, uns zu einem sicheren Ort für unsere Räder zu führen. Laut Google Translate befindet sich angeblich ein unterirdischer Lagerraum im Gebäude nebenan.
Wir gehen also über die Straße zum Gebäude nebenan und betreten einen ähnlichen Empfangsbereich. Die Empfangsdame teilt uns in gutem Englisch mit, dass es in keinem der Hochhäuser der Gesellschaft einen solchen Abstellraum gibt. Daraufhin kommt der Security-Mitarbeiter hinzu und diskutiert mit der Empfangsdame, die auf unserer Seite zu sein scheint. Nachdem die beiden sich kurz auf Georgisch austauschen, scheint der kalte, desinteressierte Robocop plötzlich wie ausgewechselt. Die verwirrte Rezeptionistin übersetzt für uns: „Wenn Sie Ihre Fahrräder mit in Ihre Wohnung nehmen, ist das überhaupt kein Problem. Sie dürfen nur nicht im Korridor des Hauses abgestellt werden.” Verwundert aber auf jeden Fall glücklich mit dieser Antwort nehmen wir die Räder also mit in die Ferienwohnung. Was für ein Lärm um Nichts!
Fantastische georgische Supermärkte
Unsere Urlaubswoche in Batumi ist schnell vorbei. Leider sind wir beide erkältet und wagen uns daher nicht viel weiter als zum Supermarkt, zum Strand und einmal in die Stadt. Um ehrlich zu sein, sind wir von Batumi nicht besonders beeindruckt. Der Ort ist eine seltsame Mischung aus sowjetischer Küstenstadt, Möchtegern-Las Vegas und einer Baustelle. Der Strand selbst ist verschmutzt und die Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Ukrainern und Russen. Vielleicht bin ich ein bisschen gemein. Aber Batumi repräsentiert nicht das, was wir unter Georgien verstehen. Unser erster Besuch in einem georgischen Supermarkt dagegen ist cool. In der Alkoholabteilung wird tatsächlich Bier vom Fass verkauft! Leider nicht zum Trinken beim Einkaufen, sondern in alten Coca-Cola-Flaschen in verschiedenen Größen zum Mitnehmen. Tolles Konzept. Als ich die Abteilung für Wein und Spirituosen betrete, kommt eine Dame auf mich zu und bietet ihre Hilfe an. Auf den zweiten Blick erkenne ich, dass sie im Supermarkt arbeitet und eine Beraterin in der Abteilung ist. Als ich also einen Wein aussuche, informiert sie mich über die verschiedenen Sorten und fragt mich nach meinen Präferenzen. Da ich mich immer noch nicht ganz gesund fühle, schaue ich mich nur um. Aber es ist eine tolle Idee, „Experten“ dort zu haben.
Die beste Idee finde ich im Kühlregal, zwischen den Fleisch- und Milchprodukten. Zuerst finde ich die Platzierung etwas merkwürdig. Neben den Joghurts gibt es eine große Abteilung mit Säften und Mixgetränken, daneben noch eine größere Abteilung mit Vodka! Die Reihenfolge der Produkte: Salami, Vodka, Mixgetränke, Joghurt. Nicht dass ich mich beschweren will. Dennoch ist es ein kleiner Kulturschock für mich, eine Nation zu sehen, die eine bessere Verkaufsmethode für alkoholische Getränke hat, als die Briten! 3 großartige Erfindungen in georgischen Supermärkten: Bier vom Fass, Alkoholberater und gekühlte Vodka-Mixer.
Georgisches Brot
Wir beginnen unsere Weiterreise nach Tiflis mit einem kurzen Tag an der Küste entlang. Jana ist immer noch nicht ganz fit, wir wollen es am ersten Tag nicht übertreiben. Schon nach ein paar Stunden haben wir Hunger. Wir scheinen vergessen zu haben, wie es ist, wenn man den ganzen Tag radelt. Jana muss alle paar Stunden etwas essen und ich habe sogar das Gefühl, dass ich ständig am Essen bin. In einer kleinen Küstenstadt, sehen wir eine „Bäckerei“, beziehungsweise große Plakate mit Bildern von Brot an einem Laden.
Es handelt sich tatsächlich um eine Bäckerei, aber nicht so wie wir sie kennen: Der kleine Raum von etwa 3 x 3 m, ohne Dekoration an den Wänden und ohne Theke besteht aus zwei riesigen runde Schüsseln, die vom Boden bis zur Hüfthöhe reichen, und einem kleinen Holzregal an der Wand, auf dem rohe Teigklumpen liegen. Eine der beiden riesigen Schüsseln mit einem Durchmesser von 1 m ist eine Knetmaschine aus Metall, die andere aus Stein scheint ein Ofen zu sein.
Ja, ich weiß, meine Beschreibungen sind schlecht, aber Brot wird in Georgien wirklich in runden Steinöfen gebacken, die aus dem Boden ragen.
Ich beobachte von der Tür aus, wie der Bäcker einen der Teigklumpen nimmt und ihn mit seinen Händen formt. Dann klatscht er ihn an die Seitenwand des Steinofens. Wenn die Brote perfekt gebacken sind, nimmt er sie mit einer Art hölzernem Besenstil heraus. Wir kaufen ein Brot für umgerechnet 30 Cent (€) und schwingen uns wieder auf die Räder, um unsere Fahrt die Küste hinauf fortzusetzen.
Ein Deutsches Ferienlager in den Schwefelbädern
Die 85 km lange Fahrt am heutigen Tag soll uns zu einem heißen Schwefelbad führen, das wir auf Google Maps gefunden haben. Die Bilder sehen herrlich aus. In Anbetracht des Dauerregens bei etwa 15 Grad Außentemperatur könnten wir ein heißes Bad und etwas positive Energie gut gebrauchen. Im Laufe des Tages stellen wir fest, dass unsere Regenjacken dringend mal wieder imprägniert werden müssten. Das Regenwasser sickert langsam durch unsere Klamotten. Zusätzlich gehen die Nähte im Schritt von Jana’s Regenhose auf. Ich bekomme regelmäßige Updates, wie weit das Wasser schon an ihren Beinen heruntergelaufen ist. Hinzu kommt noch, dass ich die Route ein wenig falsch interpretiere. Wenn’s läuft, dann läufts! Ich versuche, meinen Fehler so gut es geht zu vertuschen, aber Jana merkt es. Wir sind bei Kilometer 3 des insgesamt 10 km langen Umwegs und besorgen schnell ein paar Dinge in einem Dorfladen. Jana tauscht ein paar nette Worte mit der älteren Dame aus, die uns bedient. Gerade als wir losfahren wollen, kommt der Ehemann der Dame aus dem Laden gerannt und überreicht uns zwei Lollipops. Eine nette Geste, die ein Lächeln auf unser Gesicht zaubert. Vielleicht ist das unsere Belohnung dafür, dass wir den falschen Weg genommen haben?! Alles passiert aus einem bestimmten Grund!
Wir folgen einer unbefestigten Straße zu den Bädern und kommen nach 15 Minuten des Ausweichens von Schlaglöchern und Pfützen an. Es ist niemand in dem fast 40 Grad warmen Wasser, nur zwei deutsche Jungs schlagen ihr Zelt gerade in einiger Entfernung auf. Da wir schon an Stränden, Schwefelbädern und Flussufern geschlafen haben, wissen wir, dass es voll und laut werden kann, ja manchmal sogar in eine Art Party ausartet. Wir finden in einiger Entfernung und außer Sichtweite einen Platz für unser Zelt.
Inzwischen sind mehrere andere Gruppen angekommen und als wir uns voller Vorfreude auf den Weg zum Wasser machen, sitzen schon mehrere Menschen in den Quellen. Ok, das Wasser ist ein bisschen stinkig, aber wow, es tut gut auf unseren müden kalten Muskeln. Witzigerweise sind fast alle Umstehenden Deutsche Rucksacktouristen. Wie in einem deutschen Feriencamp sitzen wir also im Kreis und tauschen Reisegeschichten aus.
Wir schlafen relativ gut, obwohl abends eine Gruppe von Einheimischen bis 2 Uhr morgens Party an den Quellen macht. Um 3 Uhr morgens wache ich erneut auf. Diesmal werde ich durch das Geräusch von Gras geweckt, das aus dem Boden gerissen wird. Eine Kuh frisst direkt neben meinem Kopf auf der anderen Seite der dünnen Zeltplane Gras. Wer liebt nicht das Geräusch der Natur?
Mehr Geschenke und ein pessimistischer Franzose
Nach einem erneuten Bad in den Quellen brechen wir auf und können zum ersten Mal die Schönheit der georgischen Landschaft sehen. Der klare blaue Himmel gibt den Blick frei auf die weiten grünen Hügel und die hohen Bergen in der Ferne. Am Nachmittag ist es fast zu heiß und wir erinnern uns an den letzten Sommer durch Zentraleuropa. Schweiß und Salz trocknet auf unseren Rücken und Gesichtern.
Vor dem nächsten Anstieg, der mit 250 Höhenmetern relativ steil ist, fahren wir an einem kleinen Laden vorbei. Plötzlich rennt eine Frau aus dem Laden und streckt uns zwei Colaflaschen entgegen. Wir fühlen uns wie Tour de France Fahrer, als wir im Vorbeifahren nach den Flaschen greifen und dankbar rufen und winken. Völlig unerwartet, aber genau das, was wir bei der Hitze brauchen, um den Berg zu erklimmen. Wieder sind wir von der Freundlichkeit der Menschen überwältigt.
Die asphaltierte Straße geht in der Nähe von Kharagauli in einen Schotterweg über, der uns durch eine enge Schlucht mit steilen Felswänden auf beiden Seiten führt. Wir verlassen den Flusslauf und führten der Straße weiter bergauf. Hinter einem kleinen Dorf, das aus nicht mehr als einer handvoll Häusern besteht, biegen wir um eine scharfe Linkskurve. Zu unserer Überraschung kommt uns eine große Gruppe von Radfahrern entgegen! Sie sind alle mit Gepäck ausgestattet, das unserem nicht allzu unähnlich ist. Es handelt sich um eine Reisegruppe aus dem Iran auf dem Weg von Tiflis nach Batumi. Der Gruppenleiter spricht gut Englisch, also tauschen wir Informationen aus. Einer der Reisenden, ein Franzose, der im Iran lebt, erklärt Jana besorgt auf französisch, dass die vor uns liegende Strecke sehr anspruchsvoll sei und dass wir ohne E-Bikes eigentlich keine Chance hätten.
Hoffentlich irrt er sich, wir wollen nicht in den georgischen Bergen festsitzen!
Die Strecke wird tatsächlich etwas anstrengender, aber mir bleibt schleierhaft, woher der pessimistische Franzose seine E-Bike-Idee hat. Auf der Suche nach einem Pausenplatz entdeckt Jana einen steilen Pfad hinunter zu einer großen grünen Wiese neben dem Fluss. Die Art und Weise, wie das Gras an mehreren Stellen platt gedrückt ist, deutet darauf hin, dass die Iraner hier letzte Nacht geschlafen haben. Nach dem Essen habe ich sogar Zeit für ein kleines Nickerchen, während Jana auf ihrem Handy Russisch lernt. Mit schmerzenden Hintern und müden Beinen schwingen wir uns schließlich wieder auf die Räder.
Am darauffolgenden Tag führen wir eine hitzige Diskussion: Während unserer Mittagspause am Vortag hatte Jana unser „Käsemesser“ (ein kleines blaues Taschenmesser*) und unsere Reparaturfolie* (ebenfalls blau) nach dem Essen auf meine gelben Radtasche gelegt. Die Betonung liegt hier auf AUF, nicht IN, wo die Gegenstände eigentlich hingehören. Nach meinem Mittagsschlaf hatte ich mein Fahrrad gepackt und scheinbar das Messer und das Reparaturband übersehen. Wir streiten darüber, wer Schuld daran ist, dass wir beides verloren haben.
Janas Argument: Der Farbkontrast (blau-gelb) hätte mir auffallen müssen. Außerdem sei meine Radtasche meine Verantwortung.
Mein Argument: Die Gegenstände gehören in die Tasche! Ich war gerade erst aufgewacht und nicht ganz da. Da ich Dinge nach dem Gebrauch wegräume, habe ich nicht erwartet, Dinge AUF der Tasche zu finden.
Uns wird schnell klar, dass die Dinge durch Diskussionen auch nicht zurückkommen und dass wir nicht bereit sind, 40 km zurückzufahren. So wertvoll sind sie für uns wirklich nicht. Vielleicht erleben die nächsten Bikepacker eine schöne Überraschung und sind dann um ein kleines Messer und ein Zeltreparaturset besser ausgerüstet.
Später am Tag ist der Streit beigelegt. Zumindest für Jana. Denn wie gesagt: So wichtig ist es nicht. Hm.
Wir halten und Jana verschwindet für eine Toilettenpause in einem kleinen Wäldchen geschützt vor den Blicken der Autofahrer. Während ich ein paar Skittles (kleine, bunte Dragees) esse, kommt mir eine Idee, um meinen Standpunkt vom Morgen zu bekräftigen: Ich wähle ein knallgrünes Dragee und lege es auf den orangefarbenen Gurt*, der Jana’s Kameratasche* am Lenker stabilisiert. Als Jana zurück kommt, steigt sie auf ihr Rad, bereit loszufahren. Schnell greife ich nach dem Dragee, damit es nicht auf den Boden fällt. Tja, trotz des krassen Farbunterschiedes hatte sie es nicht gesehen. Na, wer ist nun Schuld an der verlorenen Ausrüstung?! Kindisch, ich weiß, aber ich glaube, ich habe gewonnen.
Josef Stalin und ein bissiger Welpe
In den Dörfern Georgiens finden wir oft Brunnen oder Wasserhähne mit frischem Trinkwasser. Wir nutzen die Gelegenheit, um unsere Flaschen aufzufüllen, und sparen uns so den Kauf von Mineralwasser. In Tsromi füllen wir gerade unsere Flaschen auf, als ein Lieferwagen neben uns anhält. Ein Mann steigt aus und beginnt auf Georgisch mit uns zu sprechen. Er führt uns um eine Mauer herum und zeigt auf eine goldene Statue. „Stalin“, sagt er und lächelt. Leicht verwirrt lächeln wir zurück. Wortlos geht er zurück zu seinem Van und fährt davon. Komisch, denken wir. Erstens: Warum gibt es in diesem winzigen Dorf überhaupt eine Josef-Stalin-Statue? Zweitens, warum ist es dem Mann so wichtig, uns die Statue zu zeigen?
Ich finde heraus, dass Stalin in Georgien geboren wurde, ganz in der Nähe, in Gori. Die Statue in Tsromi ist ziemlich berühmt, und es wurde sogar ein Film über die Einwohner des Dorfes und ihre persönlichen Meinungen zu Stalin gedreht. Der Name Stalins ist in vielen Ländern der ehemaligen Sowjetunion aus der Geschichte verbannt worden. Städte sind umbenannt und Statuen abgerissen worden. Einige Georgier scheinen jedoch nicht zu wollen, dass Stalins „Bedeutung“ vergessen wird. Wenn ihr das Ganze etwas seltsam findet, so wie ich und mehr darüber erfahren möchtet, klickt hier.
Als wir in unserem Hotel in Gori ankommen, werden wir von Jorji in perfektem Englisch begrüßt. Das ist für uns die erste wirkliche Gelegenheit, mit einer georgischen Person zu sprechen und so etwas über die Kultur zu erfahren. Jorji und seine Frau haben einen kleinen Welpen, der im Garten an einen Pfosten angeleint ist. Jorjis Frau erklärt, sobald man ihn von der Leine lässt, mache er ein Riesenchaos. Während sie ihn streichelt, erzählt sie, dass der Welpe ständig nach ihr schnappt. Unsere Arbeit im GASAH-Tierheim scheint sich auszuzahlen, denn Jana kann den Welpen streicheln. Jorjis Frau ist erstaunt und meint, Jana müsse eine besondere Energie haben. Der Hund hat offenbar bisher nach jedem geschnappt. Für Jorji und seine Frau kann ich nicht sprechen, aber so, wie die meisten Menschen auf dem Balkan, in der Türkei und in Georgien ihre Tiere behandeln, würde ich auch nach meinen Besitzern schnappen, wäre ich ein Hund.
Wir sind hungrig und gehen zum Laden am Ende der Straße, um ein Kilo gefrorene Khinkali zu kaufen, eine georgische Spezialität. Die knoblauchförmigen Teigknollen sind gefüllt mit Fleisch und Gewürzen.
Jorji besteht darauf, uns die richtige Zubereitung zu erklären. Während wir darauf warten, dass das Wasser kocht, holt Jorji eine Flasche selbstgemachten Wein aus dem Kühlschrank und schenkt uns ein Glas ein. Während die Khinkali im Wasser vor sich hin köcheln, kehrt Jorji zum Kühlschrank zurück. „Vodka?“, fragt er. Auch vom hausgemachten Schnaps schenkt er uns allen einen „Shot“ ein. In Wahrheit ist es eher ein Glas voll, man kann es definitiv nicht mit einem Schluck trinken. Zum Glück fangen die Khinkali an zu schwimmen und so wird das Trinken unterbrochen. Zeit zum Essen. „Nehmt euch Vodka und Wein aus dem Kühlschrank“, sagt Jorji, als er die Küche verlässt.
Unser Aufenthalt in Jorji’s Guest House ist großartig. Das Frühstück am Morgen ist köstlich. Dann müssen wir leider gehen, denn wir haben noch eine 87 km lange Fahrt nach Tiflis vor uns.
Einheimische Straßenkenntnis und die Deutschen Tramper
Am Ende der Straße halten wir kurz, um Wasser und Snacks zu kaufen. Während wir die Fahrräder mit unseren Einkäufen beladen, hält ein Lieferwagen neben uns. Der Fahrer streckt seine Hände aus dem Fenster und drückt uns eine Flasche Quittensaft in die Hand. Wir haben kaum Zeit, uns zu bedanken, denn der Lieferwagen fährt schon weiter. Wieder so eine spontane Gastfreundschaft!
Die heutige Route ist relativ unkompliziert. Wir folgen einer asphaltierten Landstraße für etwa 80 km bis nach Tiflis. Ich werde langsam hungrig, aber wir wollen zumindest die Hälfte der Strecke schaffen, bevor wir eine längere Mittagspause einlegen. Als ich auf das Navi schaue, schlägt Komoot (unsere Navigations-App) vor, eine Abkürzung durch ein Dorf zu nehmen. Ein Blick auf die Karte zeigt uns, dass wir eine Menge Zeit sparen könnten. Am Ortseingang ruft ein Mann, der auf einem kleinen Stuhl vor seinem Haus sitzt, uns etwas zu. Wir verstehen ihn nicht, aber er kreuzt seine Arme relativ eindeutig zu einem X, ruft „Tiflis“ und zeigt dabei in die Gegenrichtung. Wir ignorieren ihn und fahren weiter. Was weiß der schon! Ein paar hundert Meter weiter gibt uns ein Traktorfahrer auf ähnliche Weise zu verstehen, dass wir in die falsche Richtung fahren.
Immer noch auf Komoot vertrauend, fahren wir weiter. Hinter dem Ortsausgang wird die Straße immer schmaler und der Asphalt immer schlechter. Die Straße wird zum Schotterweg und dann zum Feldweg. Wir bleiben hartnäckig. Je weiter wir kommen, desto sumpfiger wird der Boden. Jetzt ist es zu spät, umzukehren.. Wir fahren weiter auf zwei Traktorspuren, die das Gras plattgedrückt und den Boden aufgewühlt haben. Schließlich müssen absteigen und schieben, unsere Räder rutschen zu sehr auf dem lehmigen Boden. Selbst das Schieben wird zur Schwerstarbeit. Der Schlamm bleibt an den Schutzblechen festsetzen und ich werde langsam immer hungriger und ungeduldiger. Nein, wütend bin ich nicht, aber auf jeden Fall genervt. Ich stelle das Fahrrad ab und kratze den Schlamm mit einem großen Stock ab. Zwei Meter weiter dasselbe Spiel. „Das war’s“, denke ich.
So ein Mist. Ich nehme alle Taschen vom Rad und trage sie, eine nach der anderen, durch den Schlamm. Meine Schuhe, meine Beine, die Taschen, das Fahrrad, alles ist schlammig! Nur noch 2 km, laut Komoot. Jana gibt ihr Bestes, um positiv zu bleiben und meinen Frust zu ignorieren. Nach einer gefühlten Ewigkeit – in Wirklichkeit nur 40 Minuten – kommen wir an eine Kreuzung. Wir verlassen die „Abkürzung“ und fahren auf einer Schotterstraße zurück zur Hauptstraße. Egal, wir haben nur etwas mehr als eine Stunde Zeit verloren und haben jetzt schlammige Fahrräder, Kleidung, Schuhe und Beine. Ja, Sarkasmus ist die niedrigste Form des Humors, ich weiß. Danke, Oscar Wilde.
Zurück auf der Hauptstraße werden wir von einem Auto hupend überholt. Es hält vor uns und vier Menschen springen heraus. Als sie auf uns zulaufen, erkennen wir sie. Die deutschen Anhalter aus dem Schwefelbad! Die Welt ist klein, und Georgien noch kleiner.
Ein positives Fazit von unserem schlammigen Umweg: Es macht Spaß, unsere Fahrräder in der nächsten Autowaschanlage mit einem Hochdruckreiniger zu säubern. Es ist das erste Mal, dass wir unsere Fahrräder reinigen, seit wir vor 1 Jahr gestartet sind!
Erste Eindrücke von Tiflis
In Tiflis verbringen wir ein paar Tage mit der Erkundung der Stadt. Sie ist definitiv viel moderner und hipper, als wir erwartet hatten.
Da mein Vater und mein Bruder in ein paar Tagen zu Besuch kommen und wir ein Auto mieten werden, müssen wir die Räder irgendwo unterzustellen. Gabriela, eine Gastgeberin bei WarmShowers, stellt dazu freundlicherweise ihre Wohnung zur Verfügung. Wir treffen sie in ihrem Haus und gehen gemeinsam essen. Bei Pizza und einer Flasche georgischem Rotwein tauschen wir Reise- und Couchsurfing-Geschichten aus. Gabriela bereitet sich gerade auf ihre eigene Radreise vor, von Kairo nach Kapstadt. Es macht Spaß, jemanden zu treffen, der sich im Planungsprozess befindet, so wie wir vor etwas mehr als einem Jahr.
In Zukunft wollen wir unbedingt versuchen, mit der Bike- und Backpacker-Community in Verbindung zu bleiben. Irgendwie bringen die Geschichten und Erfahrungen, die wir teilen, immer gute Laune.
Ende von Georgien Teil 1. Teil 2 folgt demnächst.
Bei mit (*) gekennzeichneten Links handelt es sich um sog. Affiliate-Links. Durch Klick auf diese Links und Erwerb von Produkten unserer Partner erhalten wir ggf. eine Provision. Als Amazon Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen. Ihr unterstützt damit unsere Reise, es entstehen keine Mehrkosten für euch
Weitere Informationen findet ihr auch in unserer Datenschutzerklärung!
Einen Blogartikel zu schreiben ist sehr zeitaufwendig und wir sind beim Posten auf gutes Internet angewiesen, sodass unsere Erlebnisse hier oft einige Wochen zurückliegen. Wo wir aktuell sind, könnt ihr auf dieser Karte bzw. über unseren Instagram-Account verfolgen!
die Blogs sind schön! aber leider gibt es nirgendwo einen Weiter- und Zurück-Button. und auch keine gutes menu. Wo finde ich die Fortsetzung dieses Blogs?
Hi Wilfried! Vielen Dank fürs Feedback. Alle Blogs sind unter der Titelseite „Blog“ in chronologische Reihenfolge zu finden. Auf der Seite „Karte“ werden alle Blogs nach Region und Land gelistet. Teil 2 von Georgien heißt „Verrrückte Straßen und verschneite Berge in Georgien“. LG aus Australien, Joel