Vom Winde verweht in Kasachstan
Wie wir von Amateuren zu richtigen Bikepackern werden
In Kasachstan findet unsere Feuertaufe statt.
Im wahrsten Sinne des Wortes. Neben der unerträglichen Hitze bremst uns der Gegenwind brutal aus. Warum ich zum menschlichen Telefonmast werde, weshalb wir wildfremde Menschen um Wasser anbetteln müssen und trotzdem eine wunderbare Zeit haben, erfahrt ihr in diesem Artikel.
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Inhaltsverzeichnis
- Joels verzweifelte Versuche, sein Fahrrad zu verticken
- Nur 500 Kilometer in eine komplett andere Welt
- Schmelztemperaturen in der Kasachischen Steppe
- Suche Schatten, biete Wüstensonne
- Andere Länder, andere Sitten
- Alte Bekannte und eine neue Reisekonstellation
- Güterzüge, Kamele und ein neuer Spitzname
- Nur Fleisch und ein menschlicher Telefonmast
- Das Wasser wird knapp
- Europäische Doppelgänger
- Haben Sie Fotos mit Kamelen gemacht?
Joels verzweifelte Versuche, sein Fahrrad zu verticken
Ein orangefarbener Kipplaster überholt uns hupend und hält etwa 200m vor und an. Zwei ältere Männer springen aus dem Wagen und bedeuten uns, anzuhalten. “Foto, Foto?” rufen sie fragend. Wir sind seltsam berührt. Die Männer wollen ein Foto mit UNS machen? In verschiedenen Konstellationen werden Bilder vor dem LKW geschossen und Joel drängt einen der Männer dazu, sein Rad Probe zu fahren. Lachend stimmt der Mutigere der beiden zu und begibt sich auf einen wackeligen Ritt. Gerade so kriegt er die Kurve, dreht um und gibt das Rad zurück. “Schade”, meint Joel enttäuscht, “wenn das Fahrrad kaputt gegangen wäre, müssten wir jetzt nicht mehr weiter durch die Wüste fahren.” Es ist nicht das erste und auch nicht das letzte Mal, dass Joel versucht, sein Rad an Einheimische zu verscherbeln oder gegen ein Motorrad zu tauschen.
Ja, die Wüste verlangt uns wirklich einiges ab und kann einen schon mal an den Rand der Verzweiflung bringen.
Nur 500 Kilometer in eine komplett andere Welt
Zwei Tage zuvor.
Als wir das Flugzeug verlassen, schlägt uns heiße, trockene Luft entgegen. Der Flughafen in Aktau ist winzig. Obwohl wir nur etwa 500 km geflogen sind, ist das Klima völlig anders als in Georgien. Die Landfläche ist so flach, dass man kilometerweit sehen kann und die Luft ist staubtrocken. Zu unserer Freude stehen unsere Taschen und Fahrradboxen bereits in der Gepäckhalle, als wir eintreffen – alles hat den Flug gut überstanden. Etwa eine Stunde brauchen wir, um die Räder wieder zusammenzubauen.
Das liegt hauptsächlich daran, dass wir die Plastiktüten und Frischhaltefolie, mit denen wir die Räder nach einer Youtube-Anleitung penibel eingewickelt hatten, entfernen müssen. Jonas und Moritz beobachten den Prozess stirnrunzelnd- sie hatten ihre Räder einfach so in die Box gepackt und sind schon nach kürzester Zeit fahrbereit. Als wir schließlich gemeinsam den Flughafen in Richtung der 30 km entfernten Stadt verlassen, werden wir schon von neugierigen Menschen angesprochen. Auf der etwa einstündigen Fahrt begleitet uns ein Hupkonzert der vorbeifahrenden Autos. Anzeigetafeln in kyrillischer Schrift säumen den Straßenrand. Wir checken in unser Hotel ein – in Kasachstan ist eine Registrierung für Touristen Pflicht – und mein Russisch wird gleich auf die Probe gestellt: Hier spricht kaum einer Englisch.
Gleich am nächsten Morgen gibt es dann die erste Zerreißprobe für unseren Magen: Zum im Hotelpreis inbegriffenen Frühstück gibt es halb-rohe Spiegeleier, gekochte Eier, Gemüse, eine knallrote Wurst und Brot. Dazu wird in einer Schüssel Reisbrei serviert: Einige Körner Reis schwimmen in einer schleimigen, weißen Suppe die leicht gesalzen und gleichzeitig süß ist. Wir sind immer offen für kulinarische Abenteuer, aber der Brei ist wirklich zu viel für meinen Magen. Daneben erwartet Joel auch noch von mir, seine 4 Eier zu essen – ich muss passen. Die knallrote Wurst schmeckt erstaunlicherweise ganz ok!
Nachmittags treffen wir uns wieder mit Jonas und Moritz – wir gehen zum Kaspischen Meer und springen ins eiskalte Wasser. Die Felsen am Strand beherbergen viele Tierarten: Wir sehen eine Ringelnatter im Wasser schwimmen und Jonas fängt beinahe eine Languste. Als wir dann in unserem Hotelzimmer zusammen Bier trinken, kommt ein richtiges Urlaubsfeeling auf.
Schmelztemperaturen in der kasachischen Steppe
Unser erster Fahrtag beginnt schleppend. Bis wir gepackt und Benzin an einer Tankstelle besorgt haben (1 Liter für umgerechnet 50 Cent), ist es bereits 11:30. Wir folgen der kerzengeraden Straße in Richtung Nordosten und es dauert nicht lange, bis wir die ersten Kamele sehen! Wir sind völlig begeistert! Die Einheimischen hupen ausgelassen und stoppen sogar oft ihre Autos – für ein kurzes Gespräch oder ein Selfie.
Nachdem wir gegen Mittag das Städtchen Akshukyr hinter uns lassen, schmelzen wir förmlich in der Hitze. Um uns herum ist nun nichts mehr außer der sandigen Steppe. Die Strommasten neben der Straße lassen sich mit bloßem Auge bis ins schier Unendliche verfolgen. Irgendwann kommen wir an einem Friedhof vorbei, neben dem ein blauer Container steht. Davor ein kleiner Streifen Schatten! Wir machen eine Pause, um kurzzeitig der unbarmherzigen Sonne zu entkommen. Viel bringt es nicht, denn auch im Schatten hat es um die 40°C.
Nach knapp 80 km finden wir zwischen den allgegenwärtigen Ölfeldern ein geschütztes Plätzchen für die Nacht. Eigentlich haben wir noch genug Zeit für eine Katzenwäsche und zum Kochen, bevor es dunkel wird. Ich will unseren gerade neu befüllten Primus-Kocher* anzünden – und es funktioniert nicht. Erst nach mehreren Anläufen und dem Wechsel der Drüse kriegen wir den Kocher zum Laufen. Es wird also doch im Dunkeln gegessen, aber hey: Immerhin ist es so warm, dass wir in Shorts und T-Shirts in unseren Campingstühlen sitzen. Wir bauen heute nur die Innenschicht unseres Zeltes* auf und schlafen unter dem Sternenhimmel.
Um 5:30 weckt mich die Sonne. Ein Nachteil, wenn man ohne Außenschicht schläft. Wir überlegen kurz, ob wir sofort losfahren sollen, um die kühleren Morgenstunden zu nutzen. Doch es ist bewölkt, und so beschließen wir, entspannt Kaffee zu trinken! Ein Fehler? Als wir um 9:00 in der brütenden Hitze losfahren, schießt mir dieser Gedanke definitiv durch den Kopf.
Zwei Stunden später kommen wir an einem kleinen Rasthof vorbei, dem ersten Gebäude am heutigen Tag. Wer weiß, wann die nächste Möglichkeit für eine Pause kommt? Wir essen ein Reisgericht mit Karotten und Fleisch (Plov) und trinken je eine große Tasse Kaffee mit Milch für umgerechnet insgesamt 7€. Wow. Hier könnten wir es länger aushalten, wären da nicht die 1000 km Wüste/Steppe, die wir noch zu durchqueren haben. Der Gegenwind ist brutal. Zum Glück können wir ein bisschen Musik hören* – “Fat Bottom Girls” von Queen bringt uns auf andere Gedanken.
Suche Schatten, biete Wüstensonne
Die Temperaturen klettern am frühen Nachmittag auf 45°C. Selbst der unbarmherzige Gegenwind bringt nun nicht mehr die erhoffte Kühlung. Unsere Gesichter sind weiß und verkrustet von Salz und Schweiß. Wir müssen unbedingt raus aus der Sonne, doch seit etwa 20 Kilometern gibt es kein Haus, keinen Baum und kein Straßenschild, das uns Schatten spenden könnte. Um uns herum: Nur die endlose kasachische Steppe und das ein oder andere Kamel. Irgendwann halten wir die Hitze nicht mehr aus und parken die Räder etwa hundert Meter ab von der Straße im Sand.
Selbst ist der Bikepacker: Wir bauen uns unsere eigene schattige Konstruktion aus unserem Poncho-Tarp*, aufgespannt zwischen den Rädern. Es könnte so schön sein. Doch der Wind ist derart stark, dass er die Konstruktion umreißt, wenn wir sie nicht mit unserem Gewicht stützen. Wir sitzen also wir zwei Sardinen auf unseren Campingstühlen zwischen den Rädern auf 2 Quadratmetern Schatten und hoffen, nicht erschlagen zu werden. Durch die im Wind hin- und hergerissen Poncho Plane* ist es so laut, dass wir uns anschreien müssen. Zwei Stunden harren wir so aus. Ich hatte schon angenehmere Pausen. Aber alles ist besser als die gnadenlose Hitze der Wüstensonne.
Um 16:00 fahren wir weiter. Nicht dass es jetzt kühler wäre. Oder weniger windig. Aber was soll man machen? Irgendwie müssen wir ja weiter kommen. Tatsächlich erreichen wir einige Zeit später das kleine Dorf Zhyngyldy, in dem es einen Laden mit Getränken und Snacks gibt. Eine Gruppe Betrunkener Männer findet uns wahnsinnig interessant: Sie rufen uns Dinge zu, und versuchen kichernd, uns zu einer Runde Vodka überreden. Wir sind nach den letzten Kilometern einfach nur völlig erschöpft und können uns nichts Schlimmeres vorstellen, als jetzt Schnaps zu trinken.
Einige Kilometer später winkt uns ein Mann vom Straßenrand aus zu. Sein Auto parkt neben einer kleinen Ansammlung aus verlassen wirkenden Häusern mit einem erstaunlich grünen Garten. “Braucht ihr Wasser??”, ruft der Mann auf Englisch. Ein oder zwei Flaschen könnten wir tatsächlich gut gebrauchen, denn wir wissen nicht, wann der nächste Laden kommt. Statt uns eine Flasche zu geben, zeigt der Mann jedoch auf den kleinen Garten hinter sich: Tatsächlich fließt frisches Wasser aus einem Rohr heraus und bildet einen kleinen Bach! Der Mann gibt uns zu verstehen, dass man dieses Wasser bedenkenlos trinken könne, dann verabschiedet er sich. Der kleine Bach kommt wie gerufen. Wir stellen uns mit nackten Füßen in das eiskalte Wasser und waschen uns die staubigen Arme, Beine und Gesichter. Dann füllen wir das Wasser in unsere Filterflaschen*.
Einige hundert Meter entfernt schlagen wir unser Nachtlager zwischen einigen grasbewachsenen Hügeln auf. Durch den Gegenwind sind wir heute nur knapp 45 Kilometer weit gefahren. Der Ort wirkt windgeschützt, aber weit gefehlt: Die gesamte Nacht wird unser Zelt von Böen hin- und hergeschüttelt. Insbesondere meine Seite des Zeltes, die dem Wind zugewandt ist, weht mir buchstäblich mehrfach ins Gesicht. Wir machen in dieser Nacht kaum ein Auge zu.
Andere Länder, andere Sitten
Auch der nächste Tag verlangt uns einiges ab: Zwar ist es glücklicherweise bewölkt. Dafür bläst uns der Wind dermaßen ins Gesicht, dass wir auf ebener Strecke nur mit 11 km/h unterwegs sind. Zum Vergleich: Ohne Wind sind wir bei gleicher Anstrengung etwa doppelt so schnell. Am verfallenen Ortsausgang eines trostlosen Dorfes weisen vergilbte Schilder auf Einkaufsläden aus längst vergangenen Zeiten hin. Nur ein Gebäude ist in gutem Zustand. Auf der ausgeblichenen Tafel über der Türe steht Magasin (Geschäft), doch die Türe ist an diesem Freitagvormittag verrammelt. Hinter dem Gebäude finden wir Schutz vor dem gnadenlosen Wind und kochen erst mal Kaffee. Für einen Radfahrer gibt es kaum einen schlimmeren Feind als den Wind. Unsere Motivation an diesem tristen Tag ist schon jetzt am Boden.
In diesem Moment hält ein Wassertanker neben uns. Der Fahrer winkt uns herüber und füllt unsere Wasserflaschen auf! Einmal wieder zeigt sich: Die Gastfreundschaft der Einheimischen rettet den Tag.
Gegen Mittag erreichen wir die Kleinstadt Schetpe. Wir decken uns ein mit Gemüse, Frischkäse, Trockenobst und Nussriegeln, denn in den nächsten 300 Kilometern wird es keine Stadt mehr geben. Etwa 10 kg schwerer setzen wir uns in den Schatten der gegenüberliegenden Bushaltestelle und essen zu Mittag: Es gibt Brot mit Frischkäse und Gurke. Ich bin dabei, den Frischkäse auf dem Brot zu verteilen, da stehen auch schon drei Jugendliche neugierig vor uns. Einer von ihnen spricht etwas englisch, die drei haben tausend Fragen an uns. Dabei inspizieren sie ausgiebig unser Equipment: Einer der Jungen probiert Joel’s Sonnenbrille an, ein anderer meinen Helm und der dritte drückt prüfend auf meinem Sattel herum. Was in unserer Kultur als extrem unhöflich empfunden werden würde, ist hier vollkommen normal. Die Jungs legen alle Gegenstände nach kurzer Zeit wieder ordentlich zurück.
Wir gewöhnen uns irgendwann daran, dass wildfremde Leute unsere Räder, Helme und Taschen anfassen und begutachten. Woran wir uns jedoch nicht gewöhnen, ist das ständige Spucken. Die ganze Zeit spuckt einer der Teenager im 10 Sekunden Takt durch eine Zahnlücke auf den Boden. Zum Glück bin ich so hungrig, dass nicht mal das mir den Appetit verderben kann.
Am frühen Nachmittag ist die Strecke, die wir zurückgelegt haben, ernüchternd: 45 Kilometer in 4 ½ Stunden reiner Fahrzeit. Der Wind und die Hitze machen uns zu schaffen. Zum Glück kommen wir an einem großen Rasthof vorbei: Es gibt ein klimatisiertes Restaurant mit kühlen Getränke, Eis, Gebäck, Snacks und Ruheräumen, die man auf Stundenbasis für wenig Geld mieten kann. Heilfroh setzen wir uns an einen der Tische mit Ledersofas, ich esse ein Eis und Joel eine Kartoffeltasche. Innerhalb weniger Minuten kippen wir beide einen halben Liter Eistee runter.
“Ich glaube, nebenan gibt es ein Hotel”, sagt Joel hoffnungsvoll. “Wollen wir nicht einfach dort einen Tag Pause machen?” Ich sehe ihn ungläubig an. Wie bitte? Wir sind heute erst 45 Kilometer gefahren. Wie sollen wir es jemals durch die Wüste schaffen, wenn wir jetzt schon einen Pausentag einlegen? Joel verzieht das Gesicht und nimmt wortlos einen Bissen von seiner Kartoffeltasche.
Als eine Familie am Nachbartisch das Restaurant verlässt, kommt ein Familienmitglied zu uns herüber und schenkt uns ein zur Hälfte gegessenes Kuchenstück. Eine seltsame Geste, finden wir, aber wir wollen nicht meckern. Ich gucke an mir herunter: Mit unseren von der Steppe verstaubten und verschwitzten Klamotten sehen wir tatsächlich aus wie Bedürftige. Als ich wieder aufsehe, ist vom Kuchenstück nichts mehr übrig. Ich gebe Joel einen Stoß in die Seite – ich dachte wir teilen alles? Beim Dessert hört die Liebe wohl auf.
Alte Bekannte und eine neue Reisekonstellation
Ehrlich gesagt hatte ich das Potential des Windschattens bis jetzt nie so richtig verstanden. Nicht mal auf der Strecke nach Istanbul hatten Joel oder ich wirklich das Gefühl, dass das Hintereinander herfahren viel Kraftersparnis bringt. In den nächsten Tagen ändert sich das: Die meiste Zeit teilen sich Jeremy und Joel die vordere Position, wodurch wir alle deutlich schneller unterwegs sind. Es ist schon fast 14:00 Uhr, als wir am nächsten Tag in der Öde der Steppe ein Gebäude in der Ferne erkennen. Schatten für unsere Mittagspause! Doch in der Steppe sind Distanzen deutlich weiter, als sie scheinen: Erst eine halbe Stunde später kommen wir an dem kleinen Haus mit verschlossenen Türen und Fenstern an.
Wir sind nicht alleine: Jedes vorbeifahrende Auto hält an, macht ein Foto von dem kleinen unscheinbaren Mausoleum neben dem Haus, dann ein Foto von uns und fährt weiter. Wir breiten unser Mittagessen auf einem überdachten Picknicktisch aus. Es ist schwierig zu essen, wenn alle zwei Minuten jemand nach einem Foto fragt. Und ich übertreibe nicht. Ein Mann mittleren Alters setzt sich zu uns und fragt auf Russisch: “Otkuda? (Woher [kommt ihr]?)” Ich biete ihm etwas von unserem Karamellpopcorn an. Er lehnt dankend ab und greift dafür nach Jeremys Käse. Dieser ist sichtlich irritiert, sagt jedoch nichts.
Wenig später stößt durch Zufall noch Christoph zu uns, ein Bekannter von Jeremy, der mit seinem Motorrad zum Pamir Highway nach Tadschikistan unterwegs ist. Kasachstan ist groß, aber es gibt nur diese eine Hauptstraße nach Osten! Wir verabreden uns für denselben Abend zum Campen und fahren in der brütenden Hitze weiter. Vor uns liegt der erste und einzige Anstieg in der gesamten Region Mangghystau, der Manat-Pass (ca. 200m hoch), auf dem Christoph uns locker in Schlangenlinien mit seinem Motorrad überholt. Ach, er weiß wirklich nicht, wie es ist.
Später finde ich heraus, dass in dem kleinen Mausoleum einer mittelalterlichen Legende nach Man-Ata, ein Auliye (Heiliger Mann) begraben liegt. Wer nicht anhält und dem Heiligen seinen Respekt zollt, soll Gefahr laufen, auf dem Manat-Pass zu verunglücken. Der Man-Ata muss uns unsere Unwissenheit wohl verziehen haben! Oder vielleicht waren die vielen Selfies mit den Einheimischen Zoll genug?
Güterzüge, Kamele und ein neuer Spitzname
Abends treffen wir uns mit Chis im einzigen, etwas schäbigen Restaurant, essen je (!) zwei Portionen Plov und machen uns dann in der Abenddämmerung auf die Suche nach einer ganz bestimmten Camping-Stelle in einer Schlucht. Im Halbdunkeln ruckeln wir über Feldwege, die auf keiner Karte eingezeichnet sind. Die Schlucht finden wir irgendwann, aber sie ist so steil, dass wir mit unseren Rädern nicht runter kommen. Die Leute, die diesen Ort empfohlen hatten, sollen sogar mit einem Auto hier heruntergefahren sein! Wir können uns nicht erklären, wie. Ist aber auch egal – inzwischen ist es dunkel und wir stellen die Zelte am Rande der Schlucht auf. So wird die Sonne zwar ab 05:30 unsere Zelte aufheizen, aber wir sind zu müde, um weiter zu suchen.
Als beide Zelte stehen, kommt der nächste Dämpfer: Ein Güterzug fährt hupend etwa 50 Meter entfernt an uns vorbei. Der Lärm ist ohrenbetäubend. Bis circa 02:00 nachts schrecken wir jede halbe Stunde durch einen weiteren Zug aus dem Schlaf hoch.
So unruhig die Nacht auch war, der Ausblick am nächsten Morgen über die Schlucht ist atemberaubend. Nun wissen wir auch, wieso die Güterzüge lautstark gehupt haben: Ständig laufen Kamele über die Gleise (guckt euch unbedingt das Video an!).
Im kleinen Ort Say-Otes fragen wir nach einem Supermarkt und werden tatsächlich zu einem ‘relativ’ großen Laden gelotst. Es gibt sogar Obst und Gemüse, sodass wir unsere Vorräte aufstocken können. Da Jeremys Reifen schon seit einiger Zeit an Druck verliert, nutzt er die Gelegenheit, im Schatten seinen Schlauch zu wechseln. Etwa 10 Kinder und Jugendliche beäugen ihn dabei neugierig. Einer ist besonders forsch und fragt nach unseren Namen. “Jana” kennen die Kinder – es ist schließlich ein russischer Name. “Joe (l)” geht auch noch, aber mit Je-re-my haben die Kinder so ihre Schwierigkeiten. “Jana, Joe, John-Mi”, versucht der Junge murmelnd, sich unsere Namen einzuprägen. John-Mi – ein neuer Spitzname ist geboren!
Nur Fleisch und ein menschlicher Telefonmast
Die Strecke wird immer karger. Erst gegen 16:00 kommen wir an einem Café zum Mittagessen vorbei. Während wir noch warten, dass unsere Bestellung entgegen genommen wird, betritt eine Gruppe Männer den Laden und drängelt sich dreist vor. Wir sind genervt. Die Männer scheinen sich jedoch keines Unrechts bewusst zu sein. Sie fragen uns sogar nach einem Foto mit ihrem Sohn, nachdem sie bestellt haben. Widerwillig stimmen wir zu, dann endlich können auch wir etwas zu Essen aussuchen.
Wie so oft in Zentralasien hat ein Blick auf die Speisekarte nur wenig Sinn. Meistens gibt es mehr als die Hälfte der Gerichte einfach nicht. So auch heute. Auf Russisch erklärt die ältere Dame, sie habe heute nur Fleisch. Wir tauschen verwirrte Blicke aus. Ob es auch Plov (ein Reisgericht) gäbe?, fragen wir. Es ist das einzige Gericht, dessen Namen wir kennen. Klar, Plov habe sie natürlich auch. Ok, das ist ja schonmal etwas. Eigentlich hatten wir zur Abwechslung mal auf ein anderes Gericht gehofft. Daraufhin schlägt die Dame Kuurdak vor, ein Gericht aus Kartoffeln und Fleisch. Wir nicken gleichzeitig: “Ja, das klingt doch gut!”! “Naja”, meint die Dame,”das Problem sei eben, dass sie keine Kartoffeln habe. Also nur Fleisch.”
10 Minuten später essen wir alle eine Schüssel Plov. Ihr könnt euch vorstellen, wie verblüfft wir einem Mann hinterher gucken, der wenig später einen Teller Pelmeni* (eine Art Tortellini) bestellt!!
Es mag so wirken, als ob ich in diesem Blogeintrag nur von Café zu Café springe. Das stimmt! Die Cafés sind in dieser Zeit tatsächlich die Highlights unserer Route! Wir radeln weiterhin auf der immer gleichen Straße in der immer gleichen Steppe mit dem immer gleichen Gegenwind und Gehupe der vorbeifahrenden Autos. Irgendwann – wer hätte es gedacht – kommt wieder ein Café! Eigentlich brauchen wir nichts, denn wir haben genug Wasser für den Tag gekauft.
Trotzdem lassen wir uns die Gelegenheit nicht entgehen und kaufen eine Flasche Eistee aus dem Gefrierfach. Das Slushy-artige Getränk ist der beste Eistee, den ich je getrunken habe. Hätten wir gewusst, dass dies der letzte Laden für die nächsten 150 km sein würde, hätten wir wohl mehr davon gekauft… Stattdessen fahren wir einige Zeit später von der Straße auf die Steppe ab und bauen die Zelte auf. Schon vor einigen Tagen hatte ich meiner Freundin Franzi versprochen, zu telefonieren, sobald es das Internet erlaubt. Ich gucke auf mein Handy: Mal wieder kein Netz. Ich kann also nicht mal Bescheid sagen, dass es heute wieder nicht klappt.
Es ist noch hell, sodass ich kurzerhand beschließe, mich auf die Suche nach Empfang zu machen. Auf dem getrockneten Sand rollen die Reifen gut, so dass ich mit dem Handy in der Hand ein Stück zurück zur Straße radle. John-Mi schließt sich mir an, um mit seiner Freundin zu telefonieren. Und tatsächlich: nach einiger Zeit finde ich eine Stelle etwa 1 m über meinem Kopf, an der das Handy 4G anzeigt. So stehe ich nun also da, mit nach oben gestreckten Armen, während ich aufgeregt mit Franzi spreche. Zurück am Zelt drehen wir die Musik auf*, während die Sonne langsam über der Steppe untergeht. Was für ein Gefühl der Freiheit!
Eines von vielen Cafés auf dem Weg durch die Wüste
Das Wasser wird knapp
Wir sind erst einige Kilometer gefahren, da erkennen wir in der Ferne zwei Silhouetten am Straßenrand. Wir trauen unseren Augen kaum: Zwei Bikepacker? Ja, tatsächlich! Es sind Moritz und Jonas, mit denen wir eine Woche zuvor von Kutaissi nach Aktau geflogen sind! Kasachstan – unendliche Weiten und doch irgendwie ein Dorf! Wir beschließen, gemeinsam bis zur nächsten Stadt Beyneu (Bi-ne-u), zu fahren. Unsere Wasservorräte werden langsam knapp und so beeilen wir uns, um im nächsten Café aufzustocken. Zu unserer Enttäuschung ist das Gebäude jedoch verschlossen. Es ist das Letzte auf dem Weg ins 100 Kilometer entfernte Beyneu. Uns bleibt nichts übrig, als in der prallen Sonne weiter zu fahren.
Ab und zu führen unter der Straße Abflussrohre von circa 1,5 m Durchmesser entlang. Da es sonst keinen Schatten gibt, machen wir in einem dieser Rohre voller Pferdemist eine kurze Pause.
50 Kilometer weiter sind unsere Wasservorräte dann aufgebraucht. Uns bleibt nur eine Option: Wir müssen die vorbeifahrenden Autos um Wasser anbetteln. Generell ist das in dieser Gegend Kasachstans nicht ungewöhnlich – es gibt sogar eine spezielle Technik. Man stellt sich an den Straßenrand und wedelt mit den leeren Trinkflaschen. Das sechste Auto, das vorbeifährt, hält tatsächlich an. Wir haben großes Glück: Die Familie aus Aktau ist gerade auf dem Heimweg und hat im Kofferraum einen großen Wassertank. Daraus füllen Sie für alle 5 von uns jeweils 2-3 l Wasser auf. Aber das ist noch nicht alles: Nachdem wir ein Selfie mit der Familie gemacht haben, überreicht die Frau Jonas eine prall gefüllte Plastiktüte. Darin befindet sich das Mittagessen der Familie bestehend aus Brot, Fleisch, Fischdosen und Gemüse! Wir sind sprachlos.
Nach über 100 Kilometern in der prallen Sonne erreichen wir den Stadtrand von Beyneu. Ohne zu zögern, stürmen wir das erste Café, das wir sehen. 10 Minuten später sitzen wir schweigend am Tisch, vor uns steht ein Sammelsurium aus Flaschen: Cola, Eistee, Saft, Wasser. Jeder von uns trinkt mindestens 2 l innerhalb der nächsten Viertelstunde.
Europäische Doppelgänger
Ein freies Hotelzimmer in der Provinzstadt zu finden gestaltet sich schwieriger als gedacht. Erst beim dritten Hotel haben wir Glück: Für 7000 Tenge (umgerechnet 14 €) buchen wir ein Doppelzimmer mit Bad. Zwar funktioniert unsere Klimaanlage nicht, doch trotzdem möchte ich nicht mit den Jungs tauschen: Der Geruch von drei männlichen, verschwitzten Bikepackern ist kaum zu ertragen!!
Manchmal habe ich Schwierigkeiten, asiatische Menschen anhand ihrer Gesichtszüge auseinanderzuhalten. Andersrum scheint es ähnlich zu sein. Auf jeden Fall geschehen in den nächsten Stunden merkwürdige Dinge, die darauf hindeuten. Nachdem wir das Zimmer bezogen haben, fragt Joel an der Rezeption nach einer Fernbedienung für unsere Klimaanlage. Die Rezeptionistin sucht die richtige Fernbedienung, zeigt Joel, dass sich in dieser keine Batterien befinden und legt sie achselzuckend zurück. Na gut, denkt sich Joel, dann kaufe ich eben Batterien und frag später noch einmal nach. Außerdem bittet er um einen Wasserkocher, worauf die Rezeptionistin jedoch nichts erwidert. Beim Abendessen erzählt John-Mi später erstaunt: „Die Dame an der Rezeption ist super! Zuerst hat sie uns die Klimaanlage eingeschaltet und dann auch noch einen Wasserkocher vorbeigebracht!”
Haben Sie Fotos mit Kamelen Gemacht?
Nach zwei Regenerationstagen brechen wir gemeinsam mit John-Mi in Richtung usbekische Grenze auf. Auch Moritz entscheidet kurzfristig, sich uns anzuschließen. Kurz vor der Grenze finden wir in einem Dorf einen Park mit überdachter Bühne, ganz im UdSSR-Style. Wir essen und machen eine längere Pause, um der Hitze des Tages zu entgehen. Während Joel, John-Mi und ich völlig lethargisch rumliegen, kommt Moritz mit einer Gruppe Jugendlicher ins Gespräch, die ihn mithilfe von Google Translate ausfragen. Eine der Fragen von der typischen Google-Frauenstimme verlesen: Haben Sie Fotos mit Kamelen gemacht?
Endlich mal wieder richtiges Essen in einem Restaurant
Moritz unterhält sich mit einer Gruppe Teenager
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