Von Winterlandschaften und Heißluftballons
Ein Abenteuer durch Zentralanatolien
Wir sind in Antalya angekommen!
Von hier aus geht es für uns durch die Berge hinauf zum zentralanatolischen Plateau. Wie wir mehrfach vor der klirrenden Kälte gerettet werden, heiße Quellen finden und die Magie Kappadokiens entdecken, erfahrt ihr in diesem Artikel. Viel Spaß beim Lesen!
Bei mit (*) gekennzeichneten Links handelt es sich um sog. Affiliate-Links. Durch Klick auf diese Links und Erwerb von Produkten unserer Partner erhalten wir ggf. eine Provision. Als Amazon Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen. Ihr unterstützt damit unsere Reise, es entstehen keine Mehrkosten für euch
Inhaltsverzeichnis
- Asphalt oder Schotter
- Abenteuerliche Straßen in den türkischen Bergen
- Der Nebel
- Tee im LKW
- Mehmet, unser Retter in der Not
- Beysehir im Schnee
- In 10 Stunden nach Konya
- Konservatives Konya
- Das zentralanatolische Plateau
- Abgelegene Dörfer, Geld und heiße Quellen
- Auf nach Kappadokien
- Die Magie von Kappadokien
- Bye Bye Türkei
Asphalt oder Schotter
Kurz hinter Antalya verlassen wir das Flachland. Die zweispurige, asphaltierte Straße, der wir nun folgen, ist wenig befahren, sodass wir schnell an Höhe gewinnen. Doch in Beydigin ist plötzlich Schluss: Die Straße geht in einen staubigen Schotterweg über, auf dem sich ein LKW nach dem anderen den Berg in Serpentinen hinauf schleppt. Unsere Hoffnung, das heutige Tagesziel zu erreichen, schwindet. Doch was ist das? Über der Böschung etwa 10 Meter zu unserer Linken beginnt eine asphaltierte Straße wie aus dem Nichts.
Während wir noch unschlüssig herumstehen, halten mehrere Autos neben uns. Die Fahrer sind erpicht darauf, uns ihre Hilfe – und ihre Meinung – anzubieten. Zunächst wird uns geraten, der Schotterpiste zu folgen. Schließlich hält sogar eine Polizeistreife neben uns. Wir fragen den jungen Polizisten, ob wir denn nicht auf der asphaltierten Straße weiterfahren könnten. Ja klar, sagt er, und deutet in Richtung der Asphalt-Straße: „Rechts gut.“ Diese Antwort stellt uns vor ein weiteres Rätsel, denn die asphaltierte Straße befindet sich LINKS von uns.
Abenteuerliche Straßen in den türkischen Bergen
Wir gehen das Risiko ein und schieben unsere Räder mühsam durch Erde und Müll die Böschung hinauf. Der Asphalt ist frisch und logischerweise sind wir völlig alleine unterwegs. Beunruhigend sind nur die Schilder mit einem weißen Strich auf rotem Kreis – keine Durchfahrt. Doch nach und nach kommen zu unserer Erleichterung immer mehr Autos über Zufahrtsstraßen hinzu.
Unsere Mittagspause verbringen wir in einer Karavanserei – einem Gebäudekomplex, in dem früher Karavanen Rast gemacht haben. Im Inneren hat es Gaststätten, Herbergen, Ärzte und Händler gegeben. Die Karavanserei ist unrenoviert – wir fühlen uns wie Entdecker in einer anderen Zeit, denn außer einem streunenden Hund ist niemand hier. Zwei Dutzend steile Serpentinen später befinden wir uns plötzlich in einer anderen Welt: Vor uns liegt ein Massiv aus kargem Fels in unterschiedlichen grauen und braunen Farbtönen. Tief unter uns im Tal sieht man vereinzelt die Baracken von Viehzüchtern. Ansonsten ist die beeindruckende Landschaft menschenleer. Wir sind überrascht – so hatten wir uns die Berge in Zentralasien vorgestellt, aber doch nicht die Türkei!
Im Laufe des Nachmittages nimmt unsere Route nochmal deutlich an Schwierigkeit zu. Das liegt nicht nur an den konstanten Steigungen zwischen 5 und 12%, sondern auch am Zustand der Straße. Aus der einsamen asphaltierten Fahrbahn wird eine staubige kilometerlange Baustelle. Wir passieren dutzende Bagger und LKWs, die Bauarbeiter schauen uns verdutzt hinterher. Nach einigen Kilometern Baustelle stoppt sogar ein LKW und gibt uns eine Flasche Wasser, die wir dankbar annehmen. Ganz zum Ärger der Vermessungsbeamten hält er danach noch ein kurzes Schwätzchen mit uns – mitten auf der Straße.
Der Nebel
Tee im LKW
Und der hat es in sich. Man kann kaum 10 Meter weit sehen, dahinter verschwindet alles im weißen Nichts. Zum Glück sind auf der Straße kaum Autos unterwegs und wir haben Rückenwind. Den haben wir bei den nasskalten Wetterkonditionen auch bitter nötig. Von innen sind wir verschwitzt, von außen nass. So macht das Fahrradfahren wirklich keinen Spaß. In einer Parkbucht halten wir kurz, um etwas zu trinken. Während ich mit klammen Fingern nach meiner Flasche* greife, öffnet der Fahrer eines neben uns geparkten LKWs sein Fenster.
“Cai?” fragt er und lädt uns in seinen LKW ein. Genau das, was wir jetzt brauchen! In der Fahrerkabine ist es warm und wir kommen schnell mit dem Fahrer Erdal ins Gespräch. Dank Google Translate können wir uns verständigen, wenn das Internet gerade funktioniert – hier oben gibt es kaum Empfang. Erdal selbst würde gerne auswandern, nach Australien oder in die Schweiz. Mit einem türkischen Pass und ohne die erforderlichen Sprachkenntnisse* ist das jedoch nicht leicht. Erdal, so erzählt er, habe bereits versucht, eine Schweizerin zu heiraten. Das sei der einfachste Weg, um auszuwandern, meint er. Nun suche er nach einer Australierin.
Eine seltsame Herangehensweise, um ein Visum zu bekommen, finden wir. Aber den freundlichen jungen Mann mit den träumerischen Augen muss man einfach gern haben. Nachdem wir Erdals Angebot, uns nach Konya zu fahren, mehrmals ausschlagen, ist es an der Zeit für uns, weiterzufahren. Schade, sagt Erdal, er wünschte, er hätte uns früher getroffen, dann hätten wir Freunde werden können.
Mehmet, unser Retter in der Not
Auch als der Nebel sich gegen Mittag lichtet, bleibt es feucht und kalt. Wir sind uns einig: Heute wollen wir auf keinen Fall campen. Vor uns liegt die mit etwa 6000 Einwohnern größte Ortschaft in der Region, Derebucak. Bei nass-kalten 7 Grad kommen wir am späten Nachmittag an. Während Joel in einer Apotheke nach einer Pension fragt, bleibe ich mit unseren beiden Rädern im Schutze einer Bushaltestelle zurück. Inzwischen hat es wieder angefangen zu regnen. Meine Finger stecken in nass-kalten Handschuhen*. Ich sollte sie ausziehen, denke ich, aber mir ist so kalt, dass ich mich gar nicht mehr bewegen kann oder will. Ich bleibe einfach stehen, bis Joel nach einer gefühlten Ewigkeit zurückkommt.
Die schlechte Nachricht: In ganz Derebucak gibt es kein Hotel, keine Pension und kein Gästezimmer zu vermieten. Doch Mehmet, ein hilfsbereiter Mann Ende Dreißig, hat Joels Konversation überhört und telefoniert nun alle seine Kontakte ab, um uns zu helfen! Kurz darauf fahren Mehmet und Joel in seinem Auto davon. Wohin? Keine Ahnung. Ich warte derweil in der Apotheke, in der es zwar wärmer ist, jedoch zittere ich noch immer vor Kälte. Wie lange ich dort sitze, weiß ich nicht genau. Es fühlt sich an, wie eine Ewigkeit. Verschiedene Menschen kommen und gehen – Kunden, Polizisten und ein paar ältere Männer für einen Schwätzchen. Alle beäugen mich neugierig, aber keiner spricht mich an. Jedes mal, wenn sich die Türe öffnet, kommt ein Schwall kalte Luft in den Verkaufsraum. Brrr. Schließlich fragt mich der Apotheker, ob ich einen Kaffee möchte. Meine Augen leuchten – ja bitte!
Und gerade als er mir den Papierbecher mit der dampfend heißen Flüssigkeit überreicht, kommen Joel und Mehmet zurück. Joel bekommt auch einen Kaffee, wir trinken in Eile und dann hüpfen wir auf die Räder und folgen Mehmets Auto zu einem renovierungsbedürfigen Gästezimmer für Besucher der Moschee. Mehmet und Joel haben im Vorfeld bereits Bauschutt beiseite gefegt, sodass das Zimmer mit vier großen Sesseln nun bewohnbar ist. Uns fällt ein Stein vom Herzen – heute Nacht werden wir vor Wind und Regen geschützt sein! Gleichzeitig hat Mehmet uns sogar einen Heizstrahler organisiert, denn hier, auf 1250 m über dem Meeresspiegel soll es in der Nacht sogar schneien.
Drei-Gänge-Menü und Wellness mal anders
Wir ziehen uns schnell trockene Klamotten an, dann fährt Mehmet uns ein paar Kilometer weiter zu seiner Familie. Dort ist ein Tisch für uns in der Mitte des herrlich warmen Wohnzimmer mit Teppichboden gedeckt. Mehmets Frau Hülija hat extra für uns ein Mahl aus Bohneneintopf, Bulgur, Joghurtsauce, Salat, Brot und Grießkuchen zubereitet! Wir sind überwältigt und fühlen uns ein bisschen seltsam, zu essen, während uns die Großeltern, Mehmet, Hülija und ihr Sohn Mustafa vom Sofa aus beobachten. Sie selbst machen Ramadan und werden bis zum Sonnenuntergang nichts essen.
Nach einem ausgiebigen Mahl geht es weiter zu Mehmets Freund Hüsein – zum Duschen. Auch Hüsein hat ein mit Teppich ausgelegtes Wohnzimmer, der knisternde Holzofen heizt das Zimmer auf etwa 40 Grad auf. Hüsein zeigt uns die (warme) Dusche, bietet uns Tee und Kaffee an und überlässt uns dann seine Wohnung für eine Stunde, während er in die Moschee zum Beten geht. Aufgewärmt und zufrieden kehren wir zurück in unser Gästezimmer.
Wir sind völlig überwältigt von der Gastfreundschaft der Menschen in Derebucak. Die Leute, die uns helfen, sind nicht reich und haben nicht viel. Wie einfach wäre es für Mehmet gewesen, in der Apotheke einfach wegzuhören? Stattdessen versetzt er Berge, um uns zu helfen. Als wir ihn am nächsten Morgen fragen, wie viel wir ihm für das Essen und die Übernachtung schulden, ist er fast empört und winkt energisch ab. Geld sei ihm nicht wichtig. Er sei froh, dass er uns helfen konnte und jeder, der komme, sei auch in Zukunft in Derebucak herzlich willkommen.
Beysehir im Schnee
Nach Beysehir sind es nun zum Glück nur noch 50 Kilometer, aber die Temperaturen sind nahe am Gefrierpunkt und wir haben starken Gegenwind. Gegen 14:00 kommen wir am Büro von Mustafa an, der sich über warmshowers.org bereit erklärt hat, uns heute zu beherbergen. Dieses Warmshowers-Erlebnis läuft jedoch ganz anders ab, als erwartet.
Mustafa ist ein sportbegeisterter Mann um die 50, den wir im Büro seiner Tourismusagentur treffen. Da er kein Englisch spricht, übersetzt seine Tochter per Telefon. Sie erklärt uns, dass eine türkische Outdoor-Marke Fahrradfahrer wie uns sponsore: Wir werden heute in einem Hotel mit Frühstück übernachten! Aber das ist noch nicht alles: Wir bekommen je ein professionelles Fahrrad-Shirt und zwei Halstücher der Outdoormarke geschenkt. Diese können wir bei den eisigen Temperaturen draußen gut gebrauchen.
Mustafa zeigt uns noch stolz eine Slideshow von den Radreisenden, die er in diesem Jahr schon beherbergt hat. Dann bittet er uns, ein paar Fotos mit den neuen Shirts zu machen. Das tun wir auch – während es dicke Flocken schneit! Dann machen wir uns im Schneegestöber auf zum einige Kilometer entfernt gelegenen Hotel und genießen die heiße Dusche und einen freien Nachmittag.
In 10 Stunden nach Konya
Zwischen uns und der Großstadt Konya liegen etwa 90 Kilometer und knapp tausend Höhenmeter. Können wir das am Folgetag schaffen? Ein Blick auf den Wetterbericht nimmt uns unsere Entscheidung ab: In den nächsten drei Tagen klettern die Temperaturen kaum über den Gefrierpunkt und es soll schneien. Wir MÜSSEN es also schaffen – eine Nacht bei Minusgraden in unserem Drei-Jahreszeiten-Zelt* könnte sehr unangenehm werden.
Nach einem ausgiebigen Frühstück im Hotel sitzen wir um 8:30 bei -4°C in den Sätteln. Zum Glück bleibt es erstmal trocken, dafür müssen wir dem eiskalten Gegenwind trotzen. Zwei Stunden später finden wir auf einem Rastplatz ein Restaurant, an dem wir uns mit einem Cai aufwärmen. Wir sind die einzigen Gäste im großen Speiseraum – Ramadan und so. Je näher wir dem höchsten Punkt des Tages – 1540m – kommen, desto mehr verwandelt sich die Natur um uns herum in eine perfekte Winterlandschaft. Dass wir auf dieser Reise mal im Schnee radeln würden, hätte ich nicht gedacht. Es ist anstrengend, aber schön. Sogar die Sonne kommt zwischenzeitlich mal raus und sorgt dafür, dass wir trotz 2°C Umgebungstemperatur nicht frieren.
Zum Mittagessen finden wir eine überdachte Bushaltestelle am Straßenrand, die einigermaßen windgeschützt ist. Zum Glück haben wir heißes Wasser in unserer Thermosflasche* mitgenommen – der heiße Kaffee tut bei der Kälte richtig gut! Um 16:00 haben wir es dann fast geschafft: Ein Straßenschild informiert uns, dass es nun nur noch 19 Kilometer bis nach Konya sind! Schließlich überwinden wir das Sultan-Gebirge und blicken auf die kilometerweite Ebene des zentralanatolischen Plateaus hinab. Unter uns liegt Konya!
Konservatives Konya
Konya ist eine sehr konservative Stadt. Das haben wir uns schon gedacht, als wir unser Hotel stornieren mussten, da ein Doppelzimmer nur mit Heiratsurkunde vermietet wird. In der Millionenstadt sieht man kaum eine Frau ohne Kopftuch und die wenigen während des Ramadan geöffneten Cafés sind wie leer gefegt. Sogar Starbucks in einer großen Shoppingmall hat noch viele freie Plätze – das ist in der Türkei sehr ungewöhnlich. Auch unsere AirBnB Erfahrung ist eher … nunja … konservativ geprägt. Der junge Vermieter der Wohnung in einem 14-stöckigen Gebäude bittet uns, den Nachbarn nicht zu erzählen, dass wir zahlende Gäste sind. “Wenn jemand euch fragt”, bittet er uns, “dann sagt doch, ihr seid meine Freunde und nur zu Besuch. Die Nachbarn sollen nicht wissen, dass wir die Wohnung auf diese Weise vermieten.”
In den nächsten Tagen besuchen wir das Mevlana Museum in Konya. Es besteht aus dem Mausoleum des Sufi-Mystikers Rumi, der im Mittelalter die Mevlevi-Derwishbruderschaft gegründet hat und einem Museum, das verschiedene Bräuche der Bruderschaft darstellt. Die Sufi-Strömung des Islam weist asketische Tendenzen und eine spirituelle Orientierung auf. Bis heute gilt das Mevlana-Museum als Wallfahrtsort für viele Muslime. Besonders beeindruckt sind wir von der detailreichen Kalligraphie und den ausgestellten Schriften, die teilweise über 800 Jahre alt sind!
Das zentralanatolische Plateau
Unser Weg führt uns über das zentralanatolische Plateau weiter nach Osten. Der Tag beginnt trist. Die Außenbezirke von Konya sind furchtbar vermüllt, staubig und bevölkert von streunenden anatolischen Hirtenhunden. Die sandfarbenen Tiere heben sich farblich kaum von der Steppe um uns herum ab. Wir müssen tierisch aufpassen, dass nicht plötzlich wieder ein Viech aus dem Gebüsch springt und unsere Fahrräder jagt. Auch als wir Konya schließlich hinter uns lassen, bleibt es trist. Die Hauptstraße führt schnurgerade an vermüllten Feldern entlang- Kilometer für Kilometer für Kilometer. Eine Pinkelstelle in der absolut ebenen Landschaft zu finden, ist echt schwierig.
Zum Glück haben wir Rückenwind und kommen gut voran. Nach 90 Kilometern haben wir zwar unser Tagesziel erreicht, doch weit und breit sehen wir keinen geschützten Ort, an dem wir unser Zelt aufschlagen können. Wir entscheiden uns, noch ein Stück weiterzufahren. Es sind noch 30 Kilometer bis zu einem Kratersee, der sich möglicherweise für eine Übernachtung eignen würde. Bei unserer aktuellen Geschwindigkeit könnten wir noch vor dem Sonnenuntergang dort sein.
Natürlich geht genau jetzt einiges schief: Joel fährt über einen kaum sichtbaren Draht und handelt sich dabei einen Platten ein. Während wir unter den neugierigen Blicken einiger Tankwarte den Schlauch* wechseln, fängt es an zu regnen. Aus den 90 Minuten werden zwei Stunden und die Dämmerung setzt langsam ein, während wir auf dem breiten Seitenstreifen des Highways leicht bergauf radeln. Nicht nur wegen der Steigung komme ich ins Schwitzen, sondern auch, weil wir angeblich in 2 Kilometern unser Ziel erreichen werden. Aktuell sieht nichts nach der Existenz eines Kratersees aus. Und Joel quängelt schon seit einer Weile hinter mir.
Wir überqueren den vierspurigen Highway und nehmen einen kleinen Pfad neben einer Shell-Tankstelle. Und tatsächlich: Hier geht es steil bergab, hinunter zu einem wunderschönen Kratersee. Von der Hauptstraße aus hätten wir diesen nie vermutet. Ich hatte angenommen, wir müssten zuerst einen Berg erklimmen, um in einen Krater zu gelangen. Stattdessen ist es umgekehrt.
Abgelegene Dörfer, Geld und heiße Quellen
In den nächsten Tagen werden die Straßen schlechter, die Dörfer ärmlicher und die Menschen neugieriger. Wir sind im Herzen von Zentralanatolien angekommen, in einer Gegend, in der wohl nur sehr selten Bikepacker unterwegs sind. Einen Supermarkt haben wir nun schon seit einer Weile nicht mehr gesehen, dafür gibt es fast in jedem Dorf einen kleinen Markt. Die Menschen sind freundlich und sehr, sehr interessiert. Wir werden zum Beispiel trotz Ramadan an einer Tankstelle auf einen Kaffee eingeladen. In einem kleinen Dorf klingelt die Ladenbesitzerin ihren englisch-sprechenden Sohn aus dem Bett, um herauszufinden, was verflixt nochmal wir in dieser Gegend mit zwei bepackten Fahrrädern wollen.
Nur mit den Kindern wissen wir nicht so recht umzugehen. Neben “Hello”, “How are you” und “What’s your name” rufen uns Kinderscharen auch immer öfter “Money Money Money” hinterher, während sie die Finger aneinander reiben. Im Angesicht der grenzenlosen Gastfreundschaft der meisten erwachsenen Türken kommt uns das seltsam vor. Wissen die Kinder überhaupt, was sie da sagen? Joel ruft schließlich einfach “Money Money Money!” zurück – was kann man sonst tun?
Der 3268 m hohe Berg Hasan Dağı vulkanischen Ursprungs wird zu unserem ständigen Begleiter. Drei Tage lang umfahren wir ihn und ich kann mich einfach nicht satt sehen an diesem imposanten Sahnehäubchen, das sich majästetisch vom Flachland abhebt.
In der Nähe von Ihlara suchen wir ein Plätzchen für unser Zelt in der Nähe von heißen Quellen. Wie so oft ist der kleine Schotterweg sehr unscheinbar und ohne jegliche Beschilderung. Zu den Quellen selbst führt ein kleiner Trampelpfad in die Ihlara-Schlucht hinab. Es hat sich gelohnt, hierher zu kommen: Das Wasser aus den Quellen läuft in ein etwa 1,50 m tiefes Becken, es ist klar, stinkt nicht und hat mit ca. 37°C die perfekte Temperatur! Unsere müden Muskeln sind begeistert.
Hier treffen wir auch Ute und Detlef, ein älteres Paar aus Deutschland, die in ihrem umgebauten Militärfahrzeug unterwegs durch die Türkei sind. Die beiden laden uns spontan zum Abendessen und Wein in ihren Van ein – ein Gaumenschmauß für uns! Ganz in der Nähe der Quellen finden wir eine kleine Höhle mit einem schönen Ausblick in Richtung der Schlucht. Von Wind und Regen geschützt schlagen wir dort unser Zelt auf. Am nächsten Morgen gibt uns Ute noch eine Packung deutsches Vollkornbrot mit auf die Reise.
Auf nach Kappadokien
Seit meine Freundin Charlotte kurz vor dem Start unserer Reise von diesem Ort im Zentrum der Türkei geschwärmt hat, steht Kappadokien auf meiner Liste. Ist die Gegend wirklich so wunderschön, wie alle behaupten? Wir werden es herausfinden. Zunächst aber fahren wir durch Derinkuyu, einem kleinen Ort, in dem erst in den 1960er Jahren eine große unterirdische Stadt mit mehreren Stockwerken entdeckt wurde. Ob die Stadt bereits vor Christus von den Hethitern oder von den Christen im frühen Mittelalter erbaut wurde, ist unklar.
Die unterirdische Stadt in Derinkuyu ist eine von vermuteten 53 unterirdischen Städten in Kappadokien, aber die größte, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. Das Dorf Derinkuyu selbst ist ärmlich, heruntergekommen und schmutzig. Im Supermarkt erwarten uns Wucherpreise. Von außen sieht man nicht viel von der unterirdischen Stadt und für 15 € Eintritt entscheiden wir uns gegen einen Besuch.
Am selben Nachmittag kommen wir in Uchisar am Rande des Nationalparks Göreme in Kappadokien an (da wo die Ballons fliegen!). Hier haben wir für einige Tage ein Hotelzimmer gebucht. Das Gebäude, in dem sich das Boutique-Hotel befinden soll, sieht von außen ganz schön baufällig aus. An den Fenstern kleben teilweise noch die weißen Sticker, die auf eine kurz zuvor erfolgte Installation hinweisen. Auch die Haustüre des Gebäudes ist verschlossen. Der Schlüssel steckt. Joel verschwindet im Inneren des Gebäudes und kommt dann mit einem langen Gesicht zurück:
“Jana, ich weiß nicht, was du jetzt machen willst, aber das Zimmer sieht definitiv nicht so aus, wie auf den Bildern.” “Was?”, rufe ich bestürzt, “du meinst es ist eine Bruchbude?” Joel zuckt mit den Schultern. “Mach dir selbst ein Bild. Du musst entscheiden, du hast dieses Zimmer gebucht.” Panik steigt in mir auf und ich bin den Tränen nahe. Da fängt Joel plötzlich an zu lachen. “Geh dir das Zimmer angucken – es ist perfekt!” Und das ist es wirklich. Wir haben sogar einen Whirlpool in unserem Zimmer. Joel bekommt an diesem Nachmittag aber noch zu spüren, was ich von seinem “Scherz” halte.
Die Magie von Kappadokien
In den nächsten Tagen stehen wir früh auf, immer in der Hoffnung, die für Kappadokien typischen Heißluftballons bei Sonnenaufgang steigen zu sehen. An einem Tag haben wir Glück, sonst ist es leider immer zu windig. Wir unternehmen Wanderungen zur beeindruckenden Burg von Uchisar, die komplett in den Tuffstein gehauen ist, und in das Tauben- und Liebestal.
Mit den unbepackten Rädern fahren wir durch den ganzen Nationalpark, um den besten Platz zum Zelten zu suchen. Und wir finden ihn – den absoluten Traumspot! Am Rande des roten Tals folgen wir einem Felsvorsprung bis zu einem kleinen Pfad über die Klippen, nicht breiter als einen halben Meter. Rechts und links geht es steil bergab, doch nach etwa 10 Metern verbreitert sich der Grad zu einem Plateau, das perfekt ist für unser Zelt und die Räder. Ob die Ballons wohl am nächsten Tag fliegen werden? Es wäre so schön, aber wir machen uns nicht allzu große Hoffnungen. Die ganze Nacht ist es windig und nieselt.
Um 05:30 wache ich von lauten Geräuschen auf. Schhhh schhhhh. Ist das der Wind? Ich drehe mich zu Joel um. Der grinst. Ballons?? Ballons!!! Ich reiße den Reißverschluss am Zelt* auf und tatsächlich – im Halbdunkeln sieht man die ersten Ballons in die Luft steigen! Schnell ziehen wir uns wetterfest an – es nieselt noch immer und ist ziemlich kalt. Dann klettern wir aus dem Zelt und beobachten das Spektakel. Über 100 Ballons steigen vor uns im Liebestal in die Luft. Und das Beste: Durch den Nordwind fliegen sie genau auf uns zu und über unsere Köpfe hinweg! Einige Ballons kommen so nahe, dass wir sie fast anfassen können. Einfach nur WOW!
Bye Bye Türkei
Nach diesem gelungenen Abschied von Kappadokien ist es für uns auch Zeit, uns von der Türkei zu verabschieden. Am Abend fahren wir mit einem Nachtbus von Göreme nach Rize am schwarzen Meer. Für unsere Räder müssen wir diesmal einen Wucherpreis bezahlen – der Angestellte der Buslinie besteht darauf, dass wir für jedes Fahrrad einen eigenen Sitz kaufen. Diskutieren nützt nichts, wir haben keine Wahl. Dafür bekommen unsere Räder auch eine eigene Fahrkarte. Vielleicht interpretiere ich es falsch, doch als wir unser Gepäck in den Bus laden, diskutiert der Angestellte intensiv mit dem Busfahrer. Es scheint fast so, als wäre der Busfahrer unzufrieden, weil er nun kein extra Trinkgeld von uns verlangen kann. Das wäre uns ehrlich gesagt auch lieber gewesen – wir wären bestimmt günstiger davon gekommen. Immerhin haben wir nun viel Platz, uns in dem mäßig besetzten Bus auf unseren vier Sitzplätzen auszubreiten!
Bye Bye Türkei!
Bei mit (*) gekennzeichneten Links handelt es sich um sog. Affiliate-Links. Durch Klick auf diese Links und Erwerb von Produkten unserer Partner erhalten wir ggf. eine Provision. Als Amazon Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen. Ihr unterstützt damit unsere Reise, es entstehen keine Mehrkosten für euch
Weitere Informationen findet ihr auch in unserer Datenschutzerklärung!
Einen Blogartikel zu schreiben ist sehr zeitaufwendig und wir sind beim Posten auf gutes Internet angewiesen, sodass unsere Erlebnisse hier oft einige Wochen zurückliegen. Wo wir aktuell sind, könnt ihr auf dieser Karte bzw. über unseren Instagram-Account verfolgen!